Die Vereinten Nationen haben das Gespenst von Hungersnöten in den ärmsten Ländern an die Wand gemalt, als Russland nach dem Überfall auf die Ukraine die Getreideexporte des Nachbarlandes blockierte. Russland stoppte die Ausfuhren über die Schwarzmeerhäfen. Unter Vermittlung der Vereinten Nationen (UN) und der Türkei wurde eine Lösung gefunden. Der Deal läuft aber in wenigen Tagen aus.
Russland droht, ihn platzen zu lassen, will aber »als Geste guten Willens« einer kurzen Verlängerung zustimmen. Der Deal war am Dienstag noch nicht in trockenen Tüchern.
Was ist die UN-Schwarzmeer-Getreide-Initiative?
Die Blockade der ukrainischen Ausfuhren und Sanktionen gegen Russland haben 2022 zu starken Preisanstiegen unter anderem bei Getreide und Dünger geführt. Russland und die Ukraine lieferten vor dem Krieg fast ein Viertel der Getreideexporte weltweit. Im Juli 2022 kam die Schwarzmeer-Getreide-Initiative zustande. Sie erlaubt kontrollierte Getreideausfuhren aus den Schwarzmeerhäfen Odessa, Tschornomorsk und Piwdennyj (Juschny).
Wie lange ist sie noch gültig?
Die Vereinbarung galt zunächst für 120 Tage bis November, und wurde dann nach zähen Verhandlungen um weitere vier Monate verlängert. Sie läuft am Wochenende 18./19. März aus.
Läuft das reibungslos?
Es läuft, aber nicht reibungslos. Russland habe Kräfte aus den gemeinsamen Inspektorenteams abgezogen, heißt es aus UN-Kreisen. Deshalb stauen sich Schiffe am Bosporus. Anfang März warteten laut dem Zentrum 33 Schiffe auf Inspektion.
Wird die volle Kapazität ausgeschöpft?
Bis Mitte März wurden gut 24 Millionen Tonnen Getreide und Nahrungsmittel exportiert. Zurzeit sind es drei bis vier Millionen Tonnen im Monat, das Potenzial wären aber sieben Millionen.
Hat die Initiative den gewünschten Effekt?
Die Vereinten Nationen sagen: Ja. Sechs Prozent der Exporte kamen den ärmsten Ländern zugute. Die Preise für Nahrungsmittel seien nach dem Rekordhoch im März 2022 über zehn Monate stetig zurückgegangen. Unter den Empfängerländern sind unter anderem Afghanistan, Äthiopien, der Irak und der Jemen. Dahin gehen aber nur kleine Mengen von wenigen zehn- oder hunderttausend Tonnen. Der Großteil der gut 920 Schiffe wurde nach China geliefert: 5,2 Millionen Tonnen bis Mitte März, gefolgt von Spanien mit 4,2 Millionen Tonnen. Das seien aber womöglich nicht die endgültigen Ziele der Lieferungen, so die UN. In Deutschland kamen bis Anfang März gut 350 000 Tonnen an.
Wie werden die Exporte kontrolliert?
Die Schiffe landen vor Istanbul in einer Kontrollzone und werden von Inspektoren aus Russland, der Ukraine, der Türkei und von den UN überprüft. Sie dürfen nur Getreide und andere genehmigte Nahrungsmittel oder Düngemittel transportieren. Erst nach der Inspektion können sie Richtung Mittelmeer weiterfahren. Russland will so geheime Waffenlieferungen an die Ukraine verhindern.
Welche Vereinbarungen nützen der Ukraine, welche Russland?
Für die Ukraine ist es wichtig, dass durch die Exporte Geld in die Kasse kommt. Sie konnte dank des Deals 2022 die Getreidespeicher leeren und eine neue Erntesaison vorbereiten. Russland braucht UN-Hilfe, um Getreide und Düngemittel exportieren zu können. Die westlichen Sanktionen schränken viele russische Geschäfte ein. Zwar sind Getreide und Düngemittel nicht direkt betroffen, aber russische Akteuren haben es schwer, Schiffsversicherungen zu bekommen und Zahlungen abzuwickeln. Deshalb gehört zur Initiative eine separate Vereinbarung zwischen den UN und Russland. Darin versprechen die UN, alles für die Aufhebung der Hürden zu tun, die russische Getreide- und Düngemittelexporte erschweren.
Was sind die russischen Beschwerden?
Russland beklagt, dass westliche Sanktionen seine Exporte weiter behindern. »Die Beschränkungen für russische Agrarexporteure sind nach wie vor in Kraft«, teilte Vize-Außenminister Sergei Verschinin nach Gesprächen mit den UN am Montag in Genf mit. Russland pocht auf die Normalisierung seiner Agrarexporte und will seine zur Zeit nicht betriebene Pipeline für Ammoniak durch die Ukraine wieder nutzen.
Wie steht Kiew dazu?
Eine Öffnung der Ammoniakpipeline vom russischen Toljatti in die südukrainische Hafenstadt Odessa ist politisch brisant. Kiew hat als Gegenleistung die Freilassung ukrainischer Kriegsgefangener ins Spiel gebracht. Gefangenenaustausche finden inzwischen regelmäßig statt, aber zur Öffnung der Pipeline hat die Regierung sich nicht geäußert. Kiew seinerseits will erreichen, dass auch andere Häfen genutzt werden können, insbesondere Mykolajiw.
Wie geht es weiter?
Die Verhandlungen laufen heiß. Russland hat signalisiert, dass es einer Verlängerung nur um 60 Tage zustimmen will. Die UN wollen »die Integrität der Initiative in vollem Umfang erhalten«, wie sie sagen, also eine Laufzeit von 120 Tagen. UN-Generalsekretär António Guterres hat eingeräumt, dass es bei den russischen Exporten noch hakt und erneut versprochen, sich für eine Erleichterung russischer Exporte von Getreide und Dünger einzusetzen. Kiew müsste dem russischen Vorschlag einer Verlängerung um 60 Tage auch noch zustimmen.
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