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Stürzt Boris Johnson über die Kommunalwahl?

In England, Schottland und Wales werden am Donnerstag über Tausende Gemeinde- und Bezirkssitze abgestimmt. Doch was wie eine beliebige Kommunalwahl klingt, hat es in sich.

Boris Johnson
Seit die Skandale die Schlagzeilen bestimmen, liegen Boris Johnsons Tories in den Umfragen hinter Labour. Foto: Kirsty O'connor
Seit die Skandale die Schlagzeilen bestimmen, liegen Boris Johnsons Tories in den Umfragen hinter Labour.
Foto: Kirsty O'connor

Partygate, Sexismusvorwürfe und keine Ideen, wie die schwer gebeutelten Verbraucher unterstützt werden können: Kurz vor wegweisenden Kommunalwahlen in Großbritannien sprechen die Schlagzeilen gegen Boris Johnson.

Dabei gilt die Abstimmung am Donnerstag (5. Mai) als wichtiger Stimmungstest für den Premierminister. Sollte seine Konservative Partei ein schlechtes Ergebnis erzielen, dürfte der interne Druck auf Johnson steigen.

Die Affären um Lockdown-Partys im Regierungssitz Downing Street sowie den korrupten Tory-Abgeordneten Owen Paterson, der allzu offensichtlich für ein Unternehmen lobbyiert hatte, hätten das politische Klima verändert, sagt der Politikwissenschaftler John Curtice von der Glasgower Universität Strathclyde der Deutschen Presse-Agentur. Seit die Skandale die Schlagzeilen bestimmen, lägen Johnsons Tories in den Umfragen hinter Labour. Zwar habe der Premier etwas von dem Krieg in der Ukraine profitiert, doch das habe den Ansehensverlust nicht wettmachen können, sagt Curtice.

Spaßpreis für den »Sexisten des Jahres« verliehen

In einem Partygate-Fall musste Johnson bereits eine Geldstrafe zahlen - er ist damit der erste Premier, der im Amt gegen das Gesetz verstieß. Nun vermischt sich sogar noch der eine Skandal mit einem anderen: Ende 2020 soll auf einer Weihnachtsfeier in der Downing Street ein Spaßpreis für den »Sexisten des Jahres« verliehen worden sein, wie jüngst die Zeitung »Sunday Times« berichtete.

Das Sexismus-Problem der Tories ist damit ausgerechnet kurz vor den »local elections« noch größer geworden. Noch immer empört sich das Land über Vorwürfe anonymer Konservativer in der »Mail on Sunday«, die Angela Rayner, Vizechefin der Oppositionspartei Labour, bezichtigt hatten, den ihr gegenüber sitzenden Johnson im Parlament gezielt mit ihren Beinen abzulenken. Zuletzt wurde bekannt, dass der Tory-Abgeordnete Neil Parish im Parlament einen Porno auf seinem Handy geschaut hatte - er trat zurück. Es sind viele Brandherde, die die Konservativen derzeit löschen müssen.

Die Konservativen könnten 800 Sitze verlieren

Zur Wahl stehen rund 4400 Sitze in knapp 150 Gemeinden und Bezirken in England. Etwa die Hälfte davon ist bereits in Labour-Hand. Die Konservativen haben rund 1400 Sitze inne und könnten davon schätzungsweise bis zu 800 verlieren. Doch schon ein Verlust von 300 Sitzen wäre ein schlechtes Ergebnis für die Tories, sagt Tony Travers von der London School of Economics (LSE). Dies würde wohl als persönliche Niederlage Johnsons gelten - und wäre für seine parteiinternen Kritiker ein Anlass, die wegen des Ukraine-Kriegs zurückgestellte Vertrauensfrage wieder ins Gespräch zu bringen.

Der Premierminister ist inzwischen zur Bürde geworden. »Boris Johnson war mal ein echtes Pfund bei Wahlen, aber das ist nicht mehr der Fall«, sagt die Politikwissenschaftlerin Sara Hobolt, ebenfalls von der LSE. Er hinke in Umfragen hinter vielen Kabinettsmitgliedern und auch hinter seiner Partei hinterher. Die Regierung steht nicht nur wegen ihrer Skandale in der Kritik, zudem findet sie keine Mittel gegen die Lebenskostenkrise, die das Land im Griff hält.

Die Energiekosten sind um gut 50 Prozent in die Höhe geschnellt, wie schon vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine angekündigt wurde. Die Abgaben zur Sozialversicherung wurden angehoben, Lebensmittel werden teurer. Die Regierung verweist stets auf gute Wirtschaftsdaten und eine Rekordzahl freier Stellen. Doch war die Konjunktur zuvor auch wegen des Brexits stärker eingebrochen als anderswo, und wegen strenger Einwanderungsregeln seit dem EU-Austritt gibt es niemanden, der die offenen Jobs übernehmen könnte.

Tories bei Umfragen bei 34 Prozent

Das einzige, was Johnson derzeit noch den Job rette, sei, dass es in seiner Partei niemanden gebe, der ihn ersetzen könne, sagt Hobolt. So litt das Ansehen von Finanzminister Rishi Sunak, der bis vor kurzem noch als aussichtsreichster Nachfolger galt, aufgrund legaler Steuertricks seiner superreichen Ehefrau ebenfalls erheblich.

Als wichtige Kenngröße, wie schwer die erwarteten Verluste für den Premier wiegen, gilt die Hochrechnung auf einen landesweiten Anteil. Sollten die Tories dabei unter die 30-Prozent-Grenze rutschen, sieht LSE-Experte Travers ernsthaft Grund für Sorge. In jüngsten Umfragen lagen die Tories bei 34 Prozent, Labour bei 40 Prozent. Auch in Wales und Schottland wird gewählt, hier gelten die Tories aber traditionell als weitgehend aussichtslos.

© dpa-infocom, dpa:220503-99-136936/2