Mit fast 99 Prozent Zustimmung für Spitzenkandidatin Katarina Barley und einer Kampfansage an Rechtspopulisten zieht die SPD in den Europawahlkampf. Die 55-jährige Barley nannte die Abstimmung am 9. Juni bei einer Delegiertenkonferenz am Sonntag in Berlin eine »Richtungsentscheidung«. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte, er setze auf ein »klares Votum gegen rechts«. Beide wollen die Partei gemeinsam in den Wahlkampf führen. Scholz soll trotz schlechter Umfragewerte neben Barley eine maßgebliche Rolle in der Kampagne spielen.
Barley: »Ich hab echt total Bock«
Von 149 Delegierten votierten nur zwei gegen Barley - das entspricht einer Zustimmung von 98,66 Prozent. Barley nahm die Wahl an. »Ich hab echt total Bock«, hatte sie schon vor der Abstimmung gesagt.
Die 55-Jährige war schon bei der letzten Europawahl 2019 Spitzenkandidatin. Auch damals bekam sie bei der Kandidatenkür die Zustimmung von 99 Prozent der Delegierten. Bei der Wahl fuhr die SPD dann aber mit 15,8 Prozent ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl ein.
Dieses Ergebnis wolle sie nun deutlich verbessern, sagte Barley der dpa. Eine konkrete Zielmarke nannte sie aber nicht. »Ich halte überhaupt nichts davon, Zahlen an die Wand zu malen.«
Barley warnt vor »neuen Nazis«
In ihrer Rede wandte sich Barley mit deutlichen Worten gegen die AfD, deren Vorsitzende Alice Weidel erst vor wenigen Tagen einen Austritt Deutschlands aus der EU als Option ins Spiel gebracht hatte. Die AfD würde »damit die deutsche Wirtschaft in kürzester Zeit in eine schwere Notlage bringen«, sagte Barley. »Diese Leute wollen unsere Demokratie in eine Willkürherrschaft umwandeln.« Mit Blick auf das kürzlich aufgedeckte Potsdamer Rechtsradikalen-Treffen, an dem auch AfD-Politiker teilgenommen hatten, sprach Barley von »neuen Nazis«, die Deportationen von Menschen mit ausländischen Wurzeln planten.
Als Vizepräsidentin des Europaparlaments setzte sich Barley bisher unter anderem für ein entschlossenes Vorgehen gegen Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union ein. Vor ihrer Karriere im Europäischen Parlament war die Juristin Bundesjustizministerin, zuvor Familienministerin und SPD-Generalsekretärin. Dass sie sich als Europäerin durch und durch fühlt, liegt an ihrer Familiengeschichte: Die Mutter der gebürtigen Kölnerin ist Deutsche, der Vater Brite. Studiert hat sie unter anderem in Paris.
Barley und Scholz als Wahlkampf-Duo
Unterstützung soll Barley im Wahlkampf vor allem von Scholz bekommen. Generalsekretär Kevin Kühnert hatte vor der Delegiertenkonferenz bekannt gegeben, dass die beiden »gemeinsam die Gesichter der Wahlkampagne« sein sollen. Die Entscheidung ist nicht ohne Risiko. Scholz kommt in Umfragen auf so schlechte persönliche Beliebheitswerte wie keiner seiner Vorgänger. Die SPD liegt in den Umfragen zur Bundestagswahl nur noch zwischen 13 und 16 Prozent. Bei der Wahl 2021, nach der Scholz zum Kanzler wurde, waren es noch 25,7 Prozent.
In den Reihen der SPD wächst die Unruhe. Wie schon beim Bundesparteitag im Dezember wurde das bei der Delegiertenkonferenz aber nicht sichtbar. Kritik an Scholz oder der Ampel-Regierung blieb komplett aus.
Hörbar erkälteter Scholz reißt Delegierte diesmal nicht mit
Scholz hatte vor wenigen Tagen in einem »Zeit«-Interview erstmals Fehler seiner Regierung eingeräumt, Selbstkritik geübt und Besserung gelobt. Eine mitreißende Rede wie beim Bundesparteitag gelang ihm aber am Sonntag nicht. Trotzdem wurde der 20-minütige Auftritt des hörbar erkälteten Kanzlers, bei dem er anders als sonst üblich ohne Manuskript redete, mit stehendem Applaus quittiert.
Scholz hob die Bedeutung der Europäischen Union für Deutschland hervor. »Das stärkste nationale Interesse, das wir in Deutschland haben, ist eine starke Europäische Union«, sagte er. Als bevölkerungsreichstes und wirtschaftsstärkstes Land habe Deutschland die Aufgabe voranzugehen in der EU.
Der Kanzler nahm aber auch die Partnerländer in Pflicht - vor allem bei den Waffenlieferungen in die Ukraine. Es könne nicht sein, dass Deutschland im laufenden Jahr mit mehr als sieben Milliarden Euro mehr als die Hälfte von dem bereitstelle, was die anderen EU-Länder zusammen machten.
Klingbeil: »Das wird ein harter Wahlkampf«
Dass der Wahlkampf für die SPD nicht einfach wird, sagte Parteichef Lars Klingbeil am deutlichsten. »Das wird ein harter Wahlkampf, das wird ein Wahlkampf, der uns fordern wird, das wird ein Wahlkampf, bei dem uns der Wind hart ins Gesicht bläst.« Insgesamt 96 Kandidaten stellte die SPD am Sonntag auf. Außerdem beschloss sie einstimmig ein Wahlprogramm, in dem sie für ein »Europa des Respekts« eintritt.
Als zentrale Zukunftsaufgaben werden darin massive Investitionen in Zukunftstechnologien und Infrastruktur genannt. Die Industrie soll so auf dem Weg in die Klimaneutralität unterstützt werden. Niemand in Europa dürfe durch seine Arbeit ausgebeutet werden. In der Sicherheitspolitik verfolgen die Sozialdemokraten unter anderem die »Vision einer europäischen Armee«.
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