Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hat Altkanzler Gerhard Schröder nach dessen Interview-Äußerungen zum Ukraine-Krieg aufgefordert, aus der Partei auszutreten.
»Gerhard Schröder agiert seit vielen Jahren schon als Geschäftsmann und wir sollten damit aufhören, ihn als Elder Statesmen, als Altkanzler wahrzunehmen. Er verdient sein Geld mit der Arbeit für russische Staatsunternehmen«, sagte sie im Anschluss an eine Sitzung des SPD-Präsidiums in Berlin. Zuvor hatte sie im Deutschlandfunk auf die Frage, ob Schröder aus der Partei austreten sollte, geantwortet: »Das sollte er.«
Kutschaty: Schröder muss sich entscheiden
Ähnlich äußerte sich der Spitzenkandidat der SPD für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai, Thomas Kutschaty. »Er (Schröder) muss sich entscheiden, will er Putin weiterhin unterstützen oder Mitglied der Sozialdemokratie sein - beides geht nicht miteinander«, sagte er dem Fernsehsender »Welt«. »Das was Gerhard Schröder da gerade macht, ist überhaupt nicht mit sozialdemokratischen Grundsätzen in Einklang zu bringen.«
Schröder steht massiv in der Kritik, weil er sich trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht von seinen Posten bei russischen Energieunternehmen trennt. Die SPD-Spitze hatte ihn bereits vor zwei Monaten in einem Brief dazu aufgefordert und eine »zeitnahe« Antwort gefordert.
NYT-Interview sorgt für neue Empörung
Diese Antwort an die Parteispitze blieb Schröder schuldig. Stattdessen äußerte er sich erstmals seit Kriegsbeginn in einem Interview, das am Wochenende von der »New York Times« in Auszügen veröffentlicht wurde. Darin machte Schröder ein weiteres Mal keine Anstalten, sich von Putin zu distanzieren.
- Von seinen Posten bei russischen Energiekonzernen will er nur zurücktreten, wenn der russische Präsident den Gashahn zudreht. Damit rechne er aber nicht, sagte der 78-Jährige.
- Er ist weiter bereit, seine Freundschaft zu Putin für eine Vermittlung im Ukraine-Krieg zu nutzen. »Ich habe immer deutsche Interessen vertreten. Ich tue, was ich kann. Wenigstens eine Seite vertraut mir«, sagte der frühere SPD-Chef.
- Zum Massaker im Kiewer Vorort Butscha zitierte die Zeitung Schröder: »Das muss untersucht werden.« Er glaube nicht, dass die Befehle von Putin gekommen seien, sondern von niedrigeren Stellen.
Roth: EU-Sanktionen gegen Schröder möglich
SPD-Politiker Michael Roth schließt EU-Sanktionen gegen Altkanzler Gerhard Schröder nicht aus. »Ein weiteres Indiz der Tragik des Falls Schröder ist, dass wir ernsthaft über Sanktionen gegen einen ehemaligen Bundeskanzler diskutieren müssen, der zu einem russischen Energie-Lobbyisten geworden ist«, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag der Deutschen Presse-Agentur. »Die Europäische Union ist gehalten, immer wieder zu prüfen, wer mitverantwortlich ist für diesen Krieg, wer ihn rechtfertigt und verteidigt oder verharmlost. Darüber muss am Ende die EU befinden.«
»Allerspätestens nach diesem unterirdischen Interview in der «New York Times» ist das Kapitel SPD und Gerhard Schröder ein für alle Mal beendet«, sagte Roth. »Mich schmerzt das und mich beschämt das als jemand, der selber Gerhard Schröder zwei Mal zum Bundeskanzler gewählt hat.« Den Schaden habe nicht nur die SPD zu tragen, sondern ganz Deutschland. »Und deswegen geht auch von mir der Appell aus, dieser Partei ein monatelanges Parteiordnungsverfahren zu ersparen und selber die Konsequenz zu ziehen, weil er doch spüren müsste, dass er nicht mehr erwünscht ist in unserer Partei.«
Geduld der SPD ist zu Ende
Aus Sicht Eskens hat der Kanzler vor allem mit seinen Aussagen zum Massaker in Butscha eine Grenze überschritten. Damit geht der Trennungsprozess zwischen Schröder und der SPD nun in eine neue Phase. Die Sozialdemokraten hatten lange Geduld mit ihrem Altkanzler, der schon kurz nach dem Ausscheiden aus dem Regierungsamt zunächst für die Pipeline-Gesellschaft Nord Stream tätig wurde. Dort ist er immer noch Vorsitzender des Gesellschafterausschusses.
Außerdem ist er Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energieriesen Rosneft und im zuständigen Handelsregister nach wie vor als Verwaltungsratspräsident der Nord Stream 2 AG eingetragen. Für den Aufsichtsrat des russischen Gas-Giganten Gazprom ist er nominiert.
Trotzdem hielt die SPD Schröder lange Zeit in Ehren - vor allem wegen seines Neins zum Irak-Krieg, das der SPD bis heute als mutigste und prägendste Entscheidung seiner siebenjährigen Kanzlerschaft gilt. In wirkliche Ungnade fiel er erst, als er während des russischen Truppenaufmarschs an der ukrainischen Grenze die Forderungen Kiews nach Waffenlieferungen als »Säbelrasseln« kritisierte und sich dann auch nach Putins Angriff auf die Ukraine nicht von seinem Freund lossagte.
Das Niederlegen seiner Mandate bei russischen Konzernen "wäre notwendig gewesen, um sein Ansehen als ehemaliger und einst erfolgreicher Kanzler zu retten, sagt Esken. "Und diesem Rat ist er leider nicht gefolgt."
14 Anträge auf Parteiordnungsverfahren
Und wie geht es nun weiter? Bei der SPD Hannover sind inzwischen 14 Anträge auf ein Parteiordnungsverfahren eingegangen, das in einem Ausschluss aus der SPD enden könnten. Unter den Antragstellern sind SPD-Ortsvereine und Kreisverbände aus mehreren Bundesländern, etwa Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Das Verfahren ist langwierig, ähnlich einem Gerichtsverfahren.
Auch in der Ukraine wurde das Interview mit Schröder übrigens zur Kenntnis genommen. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko fordert jetzt Sanktionen gegen den Altkanzler. Es sollte über das Einfrieren von Schröders Konten nachgedacht werden, wenn er seine Posten fortführe, sagte er »Bild«. »Angesichts seiner Propaganda für den Kreml fragt man sich, warum Schröder in Hannover wohnt und nicht in Moskau.«
Esken: »Die SPD hat kein Putin-Problem«
In Berlin wies SPD-Chefin Esken die Kritik am früheren Kurs ihrer Partei gegenüber Putin zurück. »Die SPD hat kein Putin-Problem«, sagt Esken in Berlin. Die SPD müsse sich aber wie fast alle anderen fragen, ob sie möglicherweise zu spät auf Zeichen imperialistischen Großmachtstrebens geachtet habe. Damit werde man sich in Zukunft beschäftigen müssen, im Augenblick gehe es aber darum, den Krieg möglichst schnell zu beenden. »Die SPD hat kein Russlandproblem«, sagte Esken zudem.
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