Eine von der Union beantragte Bundestagsdebatte zu den Angriffen auf Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr in der Silvesternacht ist zu einer Auseinandersetzung über Missstände in Berlin geworden. Minister und Abgeordnete der Ampel-Parteien warfen der Union vor, sie missbrauche das Thema über die Gewaltexzesse, um Ressentiments gegen Menschen mit Migrationshintergrund zu schüren, und für Wahlkampf-Hilfe für die Berliner CDU.
Die Union halte die Debatte seit dem Jahreswechsel bewusst »am Köcheln«, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne). »Sie schielen vor allem auf die anstehenden Landtagswahlen«, fügte sie hinzu. Aus den Krawallen ein Migrationsthema zu machen, sei »rassistisch«. Der Vorsitzende der Unionsfraktion, CDU-Chef Friedrich Merz, verspiele damit das Erbe der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel und rücke die Union weiter nach rechts.
Schlagabtausch im Bundestag
Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), sagte, der rot-grün-rote Berliner Senat sei verantwortlich für die chronische Unterfinanzierung von Justiz und Polizei in der Hauptstadt. Unter der Berliner Hilflosigkeit im Angesicht einer ausufernden Clankriminalität litten inzwischen auch andere Länder, sagte sie, mit einem Hinweis auf den Juwelenraub aus dem Historischen Grünen Gewölbe in Dresden. Stephan Thomae (FDP) sagte ebenfalls, es mangele in Berlin an politischer Unterstützung für die Polizei.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), sagte, es sei unredlich, bei Gewalt durch Fußball-Hooligans in Dresden von Einzelfällen zu sprechen, bei ähnlichem Verhalten durch Jugendliche in Berlin-Neukölln pauschal über »die Araber« zu reden.
Alexander Throm (CDU) insistierte, an den Angriffen in Berlin und anderen Großstädten seien »überwiegend junge Männer mit Migrationsgeschichte aus bestimmten Milieus und Stadtteilen« beteiligt gewesen. Daher müsse man in diesem Zusammenhang auch über Integration sprechen. Wenn die Integrationsbeauftragte Alabali-Radovan dies verneine, »dann ist das Arbeitsverweigerung«.
Gottfried Curio (AfD) sprach von einer »Zuwanderung aus archaischen Kulturen«, die beendet werden müsse. Gökay Akbulut (Linke) verurteilte die Gewalt gegen Einsatzkräfte und verwies gleichzeitig auf Gewaltexzesse am Rande von Fußballspielen und Demonstrationen. Sie sagte, die CDU »haut eine rassistische Nummer nach der anderen raus«.
In Berlin werden am 12. Februar die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den zwölf Bezirksverordnetenversammlungen wiederholt. Grund dafür sind Fehler beim Ablauf der Wahlen, die im September 2021 parallel zur Bundestagswahl stattfanden.
Bundesweit über 280 Angriffe auf Einsatzkräfte
In der Silvesternacht hatte es laut einem Medienbericht bundesweit mindestens 282 Angriffe auf Einsatzkräfte der Polizei und der Feuerwehr gegeben. Das berichtet der »Tagesspiegel« unter Berufung auf eine eigene Umfrage unter allen 16 Innenministerien der Länder. Allerdings hätten einige Bundesländer wie Hessen und Baden-Württemberg keine Zahlen von Angriffen auf Einsatzkräfte genannt, weshalb die tatsächliche Zahl vermutlich höher ausfalle.
Die höchste Zahl an Attacken gab es der Zeitung zufolge in Berlin. Hier bestätigte die Polizei inzwischen 59 angezeigte Angriffe gegen Polizisten und 43 gegen Feuerwehr und Rettungsdienst, wie es hieß. In Niedersachsen habe das Innenministerium Angriffe auf 42 Einsatzkräfte bestätigt, ebenfalls 42 Einsatzkräfte seien in der Silvesternacht in Nordrhein-Westfalen verletzt worden. In Bayern kam es laut Innenministerium zu 34 Attacken auf Einsatzkräfte. Auch Hamburg meldete in der Silvesternacht mit 19 Angriffen demnach verhältnismäßig viele Attacken. In den anderen Bundesländern lägen die Angriffe auf Einsatzkräfte jeweils im einstelligen Bereich.
Das Strafgesetzbuch beinhalte bereits ausreichende Regelungen, um harte Strafen gegen Menschen zu verhängen, die meinten, sie könnten dem Rechtsstaat »auf der Nase herumtanzen«, betonte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Nicht nur in Berlin, sondern auch in seinem Wahlkreis Gelsenkirchen gehörten kriminelle Clans »zum täglichen Dasein leider dazu«. Von Gewerbetreibenden mit und ohne Migrationshintergrund höre er immer wieder Klagen über Schutzgelderpressung durch libanesische Clans.
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