Berlin (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat mit der Abwahl ihres Vertrauten Volker Kauder von der Spitze der Unions-Fraktion eine herbe Niederlage erlitten.
Die Abgeordneten von CDU und CSU stürzten Kauder überraschend nach 13 Jahren im Amt und wählten den bisherigen Fraktionsvize Ralph Brinkhaus zum Nachfolger. Nach zwei schweren Regierungskrisen innerhalb weniger Monate ist das Votum ein deutliches Zeichen des schwindenden Rückhalts für die CDU-Vorsitzende in der Fraktion.
Merkel, die Kauders Wahl ausdrücklich empfohlen hatte, erklärte in einer ersten Reaktion in Berlin, sie habe Brinkhaus eine »gute Zusammenarbeit« angeboten. Es sei eine Stunde der Demokratie, und da gebe es auch Niederlagen. »Da gibt es auch nichts zu beschönigen«, sagte die Kanzlerin. Der 50-jährige Brinkhaus ist Finanzexperte aus Nordrhein-Westfalen, aber einer größeren Öffentlichkeit bisher nicht bekannt.
Erst am Montag hatte Merkel eingeräumt, dass die große Koalition sich in den ersten sechs Monaten zu sehr mit sich selbst beschäftigt habe. Zudem hatte sie in der Debatte um die Zukunft des umstrittenen Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen Fehler eingeräumt und diese bedauert. Zudem war damit gerechnet worden, dass Abgeordnete gerade aus der CSU-Gruppe Merkel wegen ihres Flüchtlingskurses einen Denkzettel verpassen wollten.
FDP-Chef Christian Lindner rief Merkel auf, die Vertrauensfrage zu stellen. »Eine instabile Regierung, die nur mit sich selbst streitet und keine Richtung vorgibt, hat das Land nicht verdient«, erklärte Lindner. »Deshalb empfehle ich Frau Merkel, die Vertrauensfrage zu stellen. Dadurch kann sie entweder die Stabilität wiederherstellen oder die Führung an andere abgeben. Andere Bundeskanzler vor ihr haben dieses Instrument auch genutzt.« Er sah in der Brinkhaus-Wahl ein »Signal der Unzufriedenheit und Erneuerung zugleich«.
Die AfD wertete Kauders Abwahl als Zeichen für ein baldiges Ende der Ära Merkel. »Sie können sich vorstellen, bei uns knallen die Korken«, sagte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel.
Brinkhaus gewann mit 125 zu 112 Stimmen gegen Kauder (69). Bei der Abstimmung hatten sich zwei Abgeordnete enthalten. Brinkhaus erhielt damit 52,7 Prozent, Kauder nur 47,3 Prozent. Der siegreiche Abgeordnete aus Gütersloh bestritt am Abend, dass die Fraktion der Kanzlerin das Leben schwer machen könnte. »Die Fraktion steht ganz fest hinter Angela Merkel.« Er freue sich auf eine enge vertrauensvolle Kooperation mit Merkel. »Da passt zwischen uns kein Blatt Papier.«
Nicht nur Merkel hatte für die Wiederwahl Kauders geworben. Auch der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatten sich wiederholt für Kauder ausgesprochen. Dobrindt gratulierte Brinkhaus und sagte, er freue sich auf gute Zusammenarbeit. CSU-Chef Seehofer sagte, das Ergebnis sei nun zu respektieren. Auf die Frage, ob er die Situation in der Fraktion falsch eingeschätzt habe, sagte er, man müsse jetzt mit den Abgeordneten reden.
Brinkhaus hatte seine Kandidatur unter anderem mit dem Wunsch nach einer aktiveren Rolle der Unionsfraktion gegenüber der Regierung begründet. Zudem warb der 50-Jährige für mehr Teamgeist. Wiederholt hatte er betont, seine Kandidatur richte sich nicht gegen Merkel.
Brinkhaus hat sich als Finanz- und Haushaltspolitiker einen Namen gemacht, leise und freundlich im Ton, durchsetzungsstark in der Sache. In die CDU kam er schon zu Schulzeiten über die Junge Union. Er meint, man müsse viel stärker für den Zusammenhalt im Land kämpfen - aber nicht mit immer höheren Sozialleistungen.
Der Koalitionspartner SPD und die Opposition sehen in der Entscheidung der Unions-Fraktion ein klares Votum gegen die Kanzlerin. »Das ist ein Aufstand gegen Merkel«, twitterte Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann. »Das ist für Frau Merkel als Bundeskanzlerin und Vorsitzende der CDU schon ein mächtiger Schlag ins Kontor«, sagte SPD-Vize Ralf Stegner der Deutschen Presse-Agentur.
Der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach wollte dagegen in der Abwahl Kauders keine Niederlage für Merkel erkennen. Es sei das »Zeichen für einen neuen Aufbruch«, sagte Michelbach dem Fernsehsender »Welt«. »Die Kanzlerin wird sich sehr schnell mit ihm arrangieren.« Brinkhaus habe viele Abgeordnete überzeugt, indem er in seiner Rede einen Aufbruch und mehr Teilhabe an der Regierungsarbeit versprochen habe.
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