ROM/BERLIN. Seit Tagen ist das deutsche Rettungsschiff »Alan Kurdi« auf Irrfahrt auf dem Mittelmeer. Kein sicherer Hafen will die 65 von einem überfüllten Schlauchboot vor der libyschen Küste geretteten Menschen an Land lassen.
Am Sonntag verbot nach Italien auch Malta dem Schiff das Einlaufen in seine Hoheitsgewässer. An Bord spitzte sich die Lage zu. »Drei der Geretteten sind in sehr schlechtem Zustand. Sie sind stark abgemagert und geschwächt und müssen dringend zur medizinischen Behandlung an Land gebracht werden«, sagte Sea-Eye-Einsatzleiter Gorden Isler in einem Telefonat mit der Deutschen Presse-Agentur. Zwei von ihnen seien Minderjährige. Die Behörden Maltas sagten zu, die drei an Land zu lassen.
Das Schiff dürfe jedoch immer noch nicht in den Hafen einlaufen, schrieb Sea-Eye auf Twitter. »Während die #AlanKurdi vor dem geschlossenen Hafen von Malta warten muss, befinden sich drei Personen in akuter medizinischer Behandlung. Alle drei sind in der Hitze kollabiert.« Das Schiff benötige dringend medizinische Unterstützung und einen sicheren Hafen, um Schlimmeres zu verhindern.
Die Helfer an Bord von der Organisation Sea-Eye aus Regensburg wollen sich von den Schwierigkeiten aber nicht unterkriegen lassen. »Wenn sich europäische Länder zur Aufnahme der Menschen bereiterklären, werden die Behörden in Malta sie auch an Land lassen«, zeigte sich Isler zuversichtlich. Dem Vernehmen nach sollen bereits mehrere EU-Staaten eine entsprechende Bereitschaft signalisiert haben. An Bord fingen die Helfer schon mal mit die Integration der Migranten an: »Für die Geretteten gibt es erste Deutschstunden«, sagte Isler. Die Verständigung laufe überwiegend auf Englisch. Wer das noch nicht könne, für den würden ältere Migranten übersetzen.
Deutschland als Flaggenstaat der »Alan Kurdi« müsse nun wie schon bei früheren ähnlichen Fällen Verhandlungen mit den beteiligten Staaten aufnehmen, sagte Isler. Das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt hätten das bisher immer professionell und effektiv geregelt. »Wir erwarten, dass Malta damit nicht alleingelassen wird«, sagte Sea-Eye-Sprecherin Carlotta Weibl der dpa. Wenn die Todesfälle im Mittelmeer aufhören sollen, dann dürften Rettungsschiffe nicht wochenlang vor den Inseln liegenbleiben, sagte sie weiter.
Die »Alan Kurdi« - benannt nach dem dreijährigen syrischen Flüchtlingsjungen, dessen Leiche im Spätsommer 2015 an einem Strand in der Türkei angespült wurde - ist ein 38 Meter langes früheres DDR-Forschungsschiff. Am Vortag hatte es vergeblich vor Lampedusa auf die Erlaubnis gewartet, in den Hafen der italienischen Mittelmeerinsel einlaufen zu dürfen. »Auf keinen Fall«, hatte Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini dekretiert und harte Strafen angedroht. Daraufhin drehte das Schiff am späten Abend notgedrungen Richtung Malta ab, wo es am Sonntagnachmittag ankommen sollte.
»Dass sich nun wieder Staatschefs mit der Verteilung einzelner Migranten befassen müssen, ist wirklich peinlich«, sagte Isler. Es müsse endlich ein Verteilungsmechanismus für Flüchtlinge und Migranten in Europa gefunden werden. »Dann würden auch keine Häfen mehr für Rettungsschiffe geschlossen«, sagte Isler. Der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, forderte, Deutschland solle alle 65 Migranten von der »Alan Kurdi« aufnehmen. Es lägen zahlreiche Angebote verschiedener Städte vor, den Menschen zu helfen und sie aufzunehmen, sagte er der »Passauer Neuen Presse« (Montag). Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte bei der EU-Kommission angeboten, einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen.
Der Leiter des Rettungseinsatzes warnte, dass der Proviant langsam zur Neige gehe. Vor allem Trinkwasser werde knapp. »Spätestens Mittwoch brauchen wir Nachschub, die Lebensmittel reichen noch etwas länger«, berichtet Isler: »Geduscht wird nur noch jeden zweiten Tag, und das bei mehr als 30 Grad schon um 8.00 Uhr morgens.«
Seehofer hatte Salvini aufgefordert, die Dauerkrise der Rettungsschiffe im Mittelmeer zu beenden. »Wir können es nicht verantworten, dass Schiffe mit geretteten Menschen an Bord wochenlang im Mittelmeer treiben, weil sie keinen Hafen finden«, schrieb er in einem Brief an Salvini. Der wies das prompt zurück. Eher würde er die Migranten per Bus direkt in die deutsche Botschaft in Rom fahren lassen, sagte er in einem im Internet verbreiteten Video.
Beifall für seine Haltung bekam Salvini vom Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke. Er sagte bei einem Treffen des rechtsnationalen »Flügels« der AfD, Salvini tue das, »was meinem Herzen entspricht und was nach meinem Willen hoffentlich auch irgendwann mal die Mehrheit der Partei als Grundlage ihrer Programmatik formulieren wird, nämlich die Kombination aus Identität und Solidarität«.
Auch Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz kritisierte die privaten Rettungsaktionen. »Sie wecken damit nur falsche Hoffnungen und locken damit womöglich unabsichtlich noch mehr Menschen in Gefahr«, sagte der Politiker der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) der »Welt am Sonntag«.
Die Menschen an Bord des italienischen Rettungsschiffes »Alex« durften unterdessen in Lampedusa an Land. Das Schiff mit 41 aus dem Mittelmeer geretteten Migranten war am Samstag trotz eines von Salvini ausgesprochenen Verbots in den Hafen der Insel eingelaufen. Damit folgte die »Alex« dem Beispiel des deutschen Rettungsschiffes »Sea-Watch 3«, das vor einer Woche trotz Verbots unter dem Kommando der Kapitänin Carola Rackete mit 40 Migranten nach Lampedusa gefahren war. Die »Alex« wurde beschlagnahmt; zudem wurde ein Bußgeld in zunächst unbekannter Höhe festgesetzt. Auch die »Sea-Watch 3« ist weiter beschlagnahmt.
Der rechtspopulistische Salvini hatte zunächst gesagt, er erlaube auf keinen Fall, dass jemand von der »Alex« an Land gelange. Er werde weiter Italien verteidigen. Die gegenteilige Entscheidung habe dann am späten Abend die Finanzpolizei zu Ermittlungszwecken getroffen, teilte das Innenministerium später mit. Sie untersteht dem Wirtschaftsministerium und nicht Salvinis Innenministerium, der damit sein Gesicht wahren konnte. Die »Alex« sei beschlagnahmt worden, gegen den Kapitän werde wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung ermittelt. (dpa)