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Schwieriger Gastgeber: Klimagipfel im Polizeistaat Ägypten

Proteste gehören bei Weltklimakonferenzen fest zum Programm. Doch in Ägypten wirft das Wissen über den Umgang der Regierung in Kairo mit seinen Kritikern einen dunklen Schatten über das Treffen.

UN-Weltklimakonferenz COP27
Eröffnung des COP27 Klimagipfels im International Convention Center in Scharm el Scheich. Foto: Gehad Hamdy
Eröffnung des COP27 Klimagipfels im International Convention Center in Scharm el Scheich.
Foto: Gehad Hamdy

Am Rand der orangebraunen Wüste liegt eine Art Parkplatz, gerade noch in Sichtweite vom Hintereingang der Weltklimakonferenz COP27. Eingezäunt, überwacht von Kameras an hohen Masten - und menschenleer.

An ein paar Snack-Buden sitzen Zivilbeamte im Schatten, sie halten Handys und Funkgeräte griffbereit. Wer diese verwaiste Zone für Proteste bei der UN-Konferenz betreten will, muss sich abtasten und Taschen gründlich durchsuchen lassen. Fotos sind nur in eine bestimmte Richtung gestattet, Essen und Getränke verboten. Protestiert werden darf hier, allerdings nur zwischen 10 und 17 Uhr und mit vorheriger Anmeldung.

Es sind bizarre Eindrücke dieser Tage vom Klimatreffen im ägyptischen Scharm el Scheich. Die Stadt bietet ohnehin eine befremdliche Szenerie aus Hotelanlagen und Flaniermeilen zwischen Schnellstraßen und der Sinai-Wüste. Aber seit Sonntag laufen nun auch noch rund 45.000 Delegierte, Beobachter, Aktivisten und Journalisten über ein Gelände aus klimatisierten Messezelten und Sitzungssälen. Plakate auf dem Weg dorthin werben für Luxusleben mit glücklichen Paaren im Jachthafen.

Aktivisten landen im Gefängnis

Hier, weit weg vom unendlichen Häusermeer Kairo und seiner Smog-Dunstglocke, kann Ägypten sich aufgeräumt zeigen. Weit weg von den Gefängnissen, in denen seit der Machtübernahme von Präsident Abdel Fattah al-Sisi laut Menschenrechtlern schätzungsweise 60.000 Menschen landeten: Abweichler, Aktivisten, Journalisten. Politische Gefangene wie Alaa Abdel Fattah oder Ahmed Duma, zwei der bekanntesten Gesichter der Revolution von 2011, die Langzeitherrscher Husni Mubarak zu Fall brachte.

Es ist der Elefant im Raum bei dieser Konferenz, dass mit Ägypten ein äußerst schwieriger Gastgeber gewählt wurde. Ein Polizeistaat, in dem die Meinungs- und Versammlungsfreiheit massiv beschnitten ist, in dem die Presse strikt zensiert und etwa 600 Websites blockiert werden. In dem Recherchen zu sensiblen Umwelt-Themen wie Luftverschmutzung schwierig bis unmöglich sind. Hier sind am Montag und Dienstag die rund 110 Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz und am Freitag US-Präsident Joe Biden. »Der COP-Prozess ist zerrüttet«, sagt Ian Fry, UN-Sondergesandter zum Schutz der Menschenrechte im Kontext des Klimawandels.

Den Fall Abdel Fattah, der aus Protest gegen seine Haftbedingungen seit Monaten auf Essen verzichtet und seit COP-Beginn auch auf Wasser, spricht auch Scholz an. Er habe sich deshalb an Al-Sisi gewandt, sagt der SPD-Politiker am Dienstag und nennt die Situation »bedrückend«. Weil Abdel Fattah 2021 über seine Mutter auch die britische Staatsbürgerschaft bekam, schlägt der Fall auch in London Wellen und beschäftigt den neuen Premier Rishi Sunak, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron trägt deshalb auch bei Al-Sisi vor. Das Leben des Aktivisten hängt am seidenen Faden.

In Scharm el Scheich fühlt man sich überwacht

Die Sicherheitsmaßnahmen sind bei solch großen Konferenz immer hoch, aber in Scharm el Scheich fühlt man sich eher überwacht. Alle 800 Taxis der Stadt wurden nach Worten des örtlichen Gouverneurs mit Kameras ausgestattet, um das »Verhalten der Fahrer« zu kontrollieren. Die Handy-App zur COP27 verlangt unter anderem Passdaten und nach Recherchen des »Guardian« sehr weitreichende Befugnisse. Unter anderem soll das ägyptische Kommunikationsministerium damit Emails und Fotos ausspähen und den Standort von Nutzern ermitteln können.

Und während Proteste rund um Umweltschutz erlaubt sein sollen, sind regierungskritische Stimmen offenbar unerwünscht. Vorab beklagten örtliche Menschenrechtsgruppen, die ägyptischen Behörden hätten sie aus einem eigenen Zulassungsprozess ausgeschlossen. Die Chefinnen von Human Rights Watch und Amnesty International, Tirana Hassan und Agnès Callamard, sind dagegen auf Einladung der deutschen Delegation vor Ort. Die Zensur zieht sich bis ins WLAN auf dem Konferenzgelände, in dem die Website von Human Rights Watch nicht abrufbar ist.

Einem regierungsnaher Abgeordneter, der bei einem Termin von Abdel Fattahs Schwester Sanaa Saif auftaucht, wirkt aufgewühlt und fast wütend über ihren Aktivismus. Saifs Bruder sei für ein Verbrechen verurteilt worden, sagte Amr Darwisch. Als er das Mikrofon nicht abgeben will, kommt es zum lauten Streit mit Callamard, bis UN-Sicherheitsleute, die auf der Konferenz das Sagen haben, den Mann schließlich aus dem Saal eskortieren. Auch bei Saifs Termin im deutschen Pavillon meldet sich eine ägyptische Kritikerin zu Wort.

Dutzende Festnahmen vorab in Kairo, Alexandria und Ismailia

Das internationale Scheinwerferlicht habe aber auch sein Gutes, sagt Hossam Bahgat, Gründer der Menschenrechtsorganisation EIPR. »UN-Gipfel sollten überall stattfinden, wo Zivilgesellschaft und Aktivisten gehört werden müssten.« Austragungsort für die COP28: die Vereinigten Arabischen Emirate, wo es kaum besser steht um die Menschenrechte.

Welch festen Griff die Behörden auf jegliche Form von Protest halten wollen, zeigten Dutzende Festnahmen vorab unter anderem in Kairo, Alexandria und Ismailia. Ein indischer Aktivist wollte mit einem 500-Kilometer-Fußmarsch zur Konferenz auf klimaschädliche Emissionen aufmerksam machen. Ajit Rajagopal wurde vorübergehend festgenommen. Auf ein Plakat, mit dem er sich fotografieren ließ, hatte er geschrieben: »Marsch für unseren Planeten«.

© dpa-infocom, dpa:221108-99-436232/3