Das Siegerlächeln ist aus Manuela Schwesigs Gesicht verschwunden.
Bei der Landtagswahl im September hatte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin die Sozialdemokraten noch zu einem fulminanten Erfolg geführt, die Macht im Land zementiert und ihre eigene Position in der SPD-Spitze gefestigt. Gut sechs Monate und viele Tausend russische Granaten und Raketen auf die Ukraine später ist Schwesig in Erklärungsnot.
»Putin-Helferin«, »Handlanger von Gazprom« - so lauten nur zwei der vielen Schlagzeilen über die 47-Jährige in jüngster Zeit. Die Ministerpräsidentin aus Schwerin, die noch vor kurzem unangreifbar schien, muss nun um ihr Amt in der Staatskanzlei bangen. Auch Forderungen nach ihrem Rücktritt gibt es schon. »Wenn die zuletzt in Medien beschriebenen Sachverhalte zutreffen, dann kann Frau Schwesig nicht im Amt bleiben; das ist völlig ausgeschlossen«, sagte der Bundestagsabgeordnete und CDU-Außenexperte Norbert Röttgen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Sonntag).
Entgegenkommendes Agieren
Die frühere Bundesfamilienministerin erhält nun die Quittung für ihr lange Zeit sehr entgegenkommendes Agieren gegenüber Russland. Vehement hatte sie den Bau der Ostsee-Erdgasleitung Nord Stream 2, durch die unter Umgehung der Ukraine weiteres russisches Gas nach Deutschland fließen sollte, gegen alle Kritik aus dem In- und Ausland verteidigt: Man müsse mit Russland im Gespräch bleiben und Gas sei eine wichtige Brückentechnologie, sagte sie immer wieder. Eine Argumentation, mit der Schwesig unter Politikern nicht allein stand und die Umfragen zufolge auch von der Mehrheit der Bevölkerung im Nordosten lange Zeit mitgetragen wurde.
Doch nicht nur verbal stellte sie sich an die Seite Russlands. Anfang 2021 wurde in Mecklenburg-Vorpommern eine Stiftung ins Leben rufen, die helfen sollte, die Pipeline trotz US-Sanktionsdrohungen fertigzustellen. Wie jetzt publik gewordene Unterlagen zeigen, war die Nord Stream 2 AG mit dem russischen Staatskonzern Gazprom als Mehrheitseigner direkt an den Vorbereitungen für die Stiftung beteiligt. Innenminister Christian Pegel (SPD) räumte ein, dass er als damaliger Energieminister während der Arbeit an der Satzung regelmäßig Kontakt zu Nord Stream 2 hatte und Wünsche des Unternehmens einfließen ließ.
Nord Stream 2 im Zentrum
Auch Schwesig gab zu, dass es Gespräche gab, wies jedoch Berichte zurück, wonach bei der Stiftungsgründung Nord Stream 2 die Feder geführt habe. »Wir haben in der Landesregierung und im Landtag unsere Entscheidungen selbst getroffen und niemand anderes sonst.« Die Initiative für die Stiftung sei von Pegel ausgegangen. Die Opposition vermutet nun, dass der Minister das »Bauernopfer« werden könnte.
Nach Unterlagen aus der Staatskanzlei, aus denen die »Welt am Sonntag« zitierte und die auch der dpa vorliegen, gab es ein »Argumentationspapier« zur Stiftung. Regierungssprecher Andreas Timm betonte, dass dieses Papier von Staatskanzlei und Energieministerium im gegenseitigen Austausch erarbeitet und »nicht bei Nord Stream in Auftrag gegeben worden« sei. Davon unabhängig habe Nord Stream seit Ende November 2020 von sich aus Argumentationspapiere an die Regierung geschickt. Da die Mail-Adressaten in den Unterlagen meist geschwärzt wurden, ist nicht erkennbar, ob Nord Stream jeweils über den Stand der Bearbeitung informiert und direkt eingebunden war.
Der Darstellung, dass der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Stiftung initiierte, wird in verschiedenen Papieren widersprochen. Doch gab es mehrere Treffen zwischen Schwesig und Schröder, einem langjährigem Vertrauten von Kremlchef Wladimir Putin mit Posten in russischen Staatskonzernen.
Noch Mitte Januar, als Russlands Truppen schon an der Grenze zur Ukraine standen, warb Schwesig für Nord Stream 2: »Ich hoffe auf ein zügiges, rechtsstaatliches Verfahren, damit die Leitung in Betrieb gehen kann«, sagte sie vor dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Kurz darauf stoppte die Bundesregierung das Genehmigungsverfahren.
Wie viele andere Politiker musste sich Schwesig spätestens zu diesem Zeitpunkt das Scheitern ihrer Strategie eingestehen. »Mit dem heutigen Wissen war das Festhalten an Nord Stream 2 und die Einrichtung der Klima- und Umweltstiftung ein Fehler. Ein Fehler, den auch ich gemacht habe«, räumte die SPD-Politikerin vor dem Landtag ein. Doch die Opposition wirft ihr weiterhin vor, allen Warnungen zum Trotz an der Zusammenarbeit mit Russland festgehalten zu haben.
Untersuchungsausschuss einberufen
Auf Betreiben von CDU, FDP und Grünen wird nun im Landtag ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, der sich von Mai an eingehend mit der Stiftung für Klima- und Umweltschutz Mecklenburg-Vorpommern befassen wird. Jener Stiftung also, die vordergründig Klima-Projekte fördern sollte, zugleich aber einen von Nord Stream geführten wirtschaftlichen Teil umfasste, der die Fertigstellung der Gasleitung vorantrieb. Die Deutsche Umwelthilfe sprach von einer »Tarnorganisation« und nannte Schwesig »Gaslobbyistin«.
200 000 Euro steuerte das Land für die Stiftung bei, 20 Millionen Euro Nord Stream 2. Nur ein Bruchteil floss bislang in Umweltprojekte. Wie viel Geld über die Stiftung für den Pipelinebau aufgewendet wurde und ob damit etwa auch ein Schiff gekauft wurde, darüber schweigen sich Regierung und Stiftungsvorstand aus. Der Ausschuss soll nun Licht ins Dunkel bringen.
CDU-Bundesgeschäftsführer Mario Czaja sagte dem »Spiegel«: »Der Untersuchungsausschuss in Schwerin muss jetzt rasch aufklären, wie stark sich Manuela Schwesig für die Interessen Russlands hat instrumentalisieren lassen oder noch lässt und welche Konsequenzen daraus gezogen werden müssen.« Eine Ministerpräsidentin könne nicht gleichzeitig »Putin-Lobbyistin« sein.
Juristische Schritte möglich
Die Grünen im Landtag, Mitinitiatoren des Untersuchungsausschusses, erwägen zudem juristische Schritte gegen Schwesig. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage seien nicht alle Treffen und Korrespondenzen mit Nord Stream-Vertretern offengelegt worden. »Das Verhalten von Manuela Schwesig ist demokratiegefährdend«, beklagte der Abgeordnete Hannes Damm. Mit fortgesetzter Intransparenz gegenüber dem Parlament versuche sich die Ministerpräsidentin selbst zu schützen, missachte dabei aber zentrale Rechte der Abgeordneten.
In dem Untersuchungsausschuss wird es auch um die Rolle von Schwesigs Vorgänger und Förderer Erwin Sellering gehen. Der SPD-Politiker hatte 2014, im Jahr der Krim-Annexion, in Mecklenburg-Vorpommern einen »Russlandtag« aus der Taufe gehoben, den Schwesig fortführte. Vor gut einem Jahr übernahm er den Vorsitz der Stiftung - und hält gegen den Willen Schwesigs, die Stiftung aufzulösen, daran fest. Auch dies dürfte nicht dazu beitragen, dass sich die Gesichtszüge der Regierungschefin bald aufhellen.
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