Logo
Aktuell Ausland

Schwerste Proteste seit Wochen im Iran

Aktivisten hatten zu dreitägigen Protesten und Streiks im Gedenken an den »blutigen November« von 2019 aufgerufen. Dabei ist es in den iranischen Provinzen zu teils gewaltsamen Vorfällen gekommen.

Teheran
Protest in der iranischen Hauptstadt nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini. Foto: Uncredited
Protest in der iranischen Hauptstadt nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini.
Foto: Uncredited

Gedenken an den »blutigen November« von 2019 haben die schwersten Proteste seit Wochen im Iran ausgelöst. In weiten Landesteilen strömten in der Nacht zu Mittwoch Menschen auf die Straßen, wie Augenzeugen berichteten. In der Hauptstadt Teheran waren chaotische Szenen zu beobachten. Demonstranten errichteten Straßensperren, Autofahrer gaben Hupkonzerte. Hunderte Menschen versammelten sich auf zentralen Plätzen und riefen Protestslogans gegen die Islamische Republik.

Während der Großteil der Straßenproteste friedlich verlief, kam es vor allem in den Provinzen wieder zu gewaltsamen Vorfällen. Mindestens zwei Sicherheitskräfte der Revolutionsgarden sowie ein schiitischer Geistlicher seien getötet worden, berichteten iranische Medien. Nach Angaben von Aktivisten wurden zwei Demonstranten in den Kurdenregionen erschossen. Berichten zufolge erfassten die Proteste Dutzende Städte und mehr als zwei Drittel der Landesprovinzen. Die Angaben aus den Protestgebieten sind schwer überprüfbar.

Ziviler Ungehorsam nimmt zu

Aktivisten hatten zu dreitägigen Protesten und Streiks im Gedenken an den »blutigen November« von 2019 aufgerufen. Hintergrund der Demonstrationen vor drei Jahren waren hohe Benzinpreise. Sie richteten sich jedoch schnell auch gegen die politische Führung in Teheran. Seit rund zwei Monaten demonstrieren erneut breite Gesellschaftsteile gegen die Islamische Republik. Auslöser war der Tod der jungen iranischen Kurdin Mahsa Amini im Polizeigewahrsam. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie Mitte September gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll.

Immer mehr Protestteilnehmer drückten auch mit zivilem Ungehorsam ihren Unmut aus. Auf den Straßen der Hauptstadt waren Paare zu beobachten, die sich in der Öffentlichkeit küssten - ein gesellschaftliches Tabu und unter Strafe verboten seit der Islamischen Revolution 1979. In anderen Teilen Teherans waren Lautsprecherdurchsagen zu hören: »Das ist ein roter Alarm, die Zeit der Revolution hat begonnen«, gefolgt von Sirenentönen, die einst bei Bombenalarm im Iran-Irak-Krieg (1980-1988) zu hören waren.

Drei weitere Todesurteile gegen Demonstranten

Im Zusammenhang mit den systemkritischen Protesten im Iran sind drei weitere Demonstranten zum Tode verurteilt worden. Dies berichtete die Nachrichtenagentur Fars am Mittwoch. Gegen die Todesurteile könne Berufung eingelegt werden, hieß es weiter. Einem Beschuldigten wird dem Bericht zufolge vorgeworfen, mit seinem Auto Polizisten angegriffen und dabei eine Person getötet zu haben. Ein weiteres Urteil wurde wegen Waffenbesitzes und Brandstiftung verhängt. Die dritte Person wurde als »Anführer von Protesten« sowie wegen Beschädigung öffentlichen Eigentums zum Tode verurteilt.

Bereits in den vergangenen Tagen wurden zwei Menschen zum Tode und weitere zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Nach Angaben von Menschenrechtlern wurden seit Beginn der Proteste vor zwei Monaten rund 15.000 Demonstranten festgenommen. Der iranischen Justiz zufolge sind mehr als 1000 Personen bereits angeklagt.

© dpa-infocom, dpa:221116-99-540352/5