Logo
Aktuell Ausland

Schulterschluss mit Separatisten lässt Sánchez hoffen

Nach der Niederlage bei der Parlamentswahl sehen die Sozialisten von (Noch-)Regierungschef Sánchez in Spanien plötzlich Licht am Ende des Tunnels. Dazu war aber eine Annäherung an radikale Separatisten nötig.

Pedro Sánchez
Pedro Sánchez, dem Vorsitzenden der Sozialistischen Arbeiterpartei und derzeitiger Ministerpräsident, steht eine schwierige Regierungsbildung bevor. Foto: Emilio Morenatti/DPA
Pedro Sánchez, dem Vorsitzenden der Sozialistischen Arbeiterpartei und derzeitiger Ministerpräsident, steht eine schwierige Regierungsbildung bevor.
Foto: Emilio Morenatti/DPA

Pedro Sánchez macht seinem Ruf als politisches »Stehaufmännchen« in Spanien wieder einmal alle Ehre. Dreieinhalb Wochen nach der Niederlage seiner Sozialisten (PSOE) bei der Parlamentswahl wurde seine Kandidatin, Francina Armengol, überraschend mit absoluter Mehrheit zur neuen Parlamentspräsidentin gewählt.

Damit werden die Aussichten des aktuell geschäftsführenden Ministerpräsidenten, längerfristig im Madrider Regierungssitz Palacio de la Moncloa bleiben zu dürfen, trotz der Wahlpleite vom 23. Juli plötzlich um einiges besser.

Unerwarteter Etappenerfolg für Sánchez

»Dieser überraschende Etappenerfolg ebnet Sánchez den Weg für eine weitere Amtszeit«, meinte Politologin Paola Cannata in einer Sondersendung des TV-Senders RTVE. In der Talkrunde stimmten alle zu. Warum? Ganz einfach: Zur Fortführung seiner Regierung braucht Sánchez neben der Unterstützung mehrerer anderer Parteien auch und vor allem einen Schulterschluss mit den radikalsten unter den katalanischen Unabhängigkeitsbefürwortern: der Partei Junts des in Brüssel im Exil lebenden Separatisten-Chefs Carles Puigdemont. Hier galt ein Abkommen bisher als unwahrscheinlich. Aber die sieben Junts-Abgeordneten votierten alle für Armengol.

Das zeigt, dass es trotz aller Differenzen einen funktionierenden Kommunikationskanal zwischen PSOE und Junts gibt. Zunächst gab es nach einer Junts-Mitteilung ein Abkommen einzig und allein zur Wahl Armengols. Der genaue Inhalt blieb vorerst unbekannt. Vor allem konservative Medien spekulierten darüber, was Sánchez den »Verbrechern« und »Feinden Spaniens« wohl alles versprochen habe. Und inwieweit sich die linke Regierung erpressbar mache.

Welche Zugeständnisse wurden den Katalanen gemacht?

Was es auch war, als sicher gilt, dass Puigdemont & Co. für eine Wiederwahl von Sánchez zum Ministerpräsidenten noch mehr verlangen dürften. Der Separatisten-Boss, in Spanien immer noch ein Justizflüchtling, hatte in den vergangenen Wochen unter anderem ein Unabhängigkeitsreferendum gefordert, das Sánchez allerdings unter keinen Umständen zusagen dürfte. Aber in jüngsten Mitteilungen schaltete der Katalane einen Gang herunter und meinte, er wolle von Sánchez »nachweisbare« Zugeständnisse. Das könnten etwa Amnestien oder mehr Selbstverwaltung sein.

Nach den konstituierenden Sitzungen des Unterhauses und des Senats werden die Gespräche zwischen den Parteien zur Regierungsbildung nächste Woche in die entscheidende Phase treten. Die Gefahr einer monatelangen politischen Hängepartie mit negativen Konsequenzen für die viertgrößte Volkswirtschaft der EU, die zudem derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat, sei immer noch nicht gebannt, hieß es unisono in der TV-Talkrunde. Sánchez werde in den kommenden Wochen nicht nur wegen der hohen Sommertemperaturen »viel schwitzen«, hieß es.

Der smarte Sozialist, der schon oft politisch totgesagt wurde und immer wieder Widerstände innerhalb und außerhalb der eigenen Partei überwinden konnte, braucht nämlich nicht nur die Unterstützung von Junts und des linken Wahlbündnisses Sumar, sondern auch von mehreren Regionalparteien aus Katalonien, dem Baskenland, Galicien und den Kanaren, die alle vorwiegend nationalistisch ausgerichtet sind und alle auch lange Wunschlisten haben.

Parallel zu den schwierigen Gesprächen zwischen den Parteien wird König Felipe VI. wohl schon nächste Woche Konsultationen mit allen im Parlament vertretenen Parteien durchführen. Der Monarch ist es, der einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten ernennen muss. Er hat dabei überhaupt keine Vorgaben, auch keine zeitlichen. Aber das heißt nicht, dass er sich Zeit lassen wird. Denn auch er weiß um die Risiken eines »Bloqueo«, einer monatelangen politischen Blockade, wie sie Spanien schon 2015/2016 und wieder 2019 erlebte.

Lange Blockade oder mächtige Separatisten?

Damit der vom König ernannte Kandidat im Unterhaus zum Ministerpräsidenten gewählt wird, ist in einer ersten Abstimmungsrunde eine absolute Mehrheit von mindestens 176 Stimmen nötig. In einer zweiten Runde reicht zwar eine einfache Mehrheit, doch nach aktuellem Stand haben weder Sánchez noch Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo ausreichend Unterstützung. Eine Art »große Koalition« gilt als völlig ausgeschlossen.

Die konservative Volkspartei PP von Feijóo hatte die Wahl zwar klar als gewonnen, war mit 137 Sitzen aber hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Der mögliche Partner, die rechtspopulistische Vox, hatte zudem 19 Sitze eingebüßt und kommt nur noch auf 33.

Trotzdem könnte Feijóo von Felipe als Wahlsieger zum ersten Kandidaten ernannt werden. Das Problem: Nach einer ersten vom Unterhaus abgelehnten Kandidatur beginnt die Uhr zu ticken. Hat das Land nach zwei Monaten immer noch keine Regierung, muss eine Neuwahl ausgerufen werden, die innerhalb der nächsten 47 Tage stattfinden müsste. Um die Jahreswende also. Viele fragen sich nun, was das kleinere Übel wäre: Eine lange Blockade oder mächtige Separatisten?

© dpa-infocom, dpa:230817-99-864116/4