Die schottische Unabhängigkeitsbewegung zerfleischt sich in einer Debatte um den richtigen Pfad zur Loslösung von Großbritannien. Zwar legte Regierungschef Humza Yousaf auf einem Sonderparteitag seiner Schottischen Nationalpartei (SNP) einen Plan vor. Doch Aktivisten außerhalb der SNP - und auch einige interne Gegner - kritisierten das Vorhaben, die nächste britische Parlamentswahl zum De-facto-Referendum zu erklären, als unausgegoren.
Yousafs Idee: Holt die SNP bei der Abstimmung, die vermutlich im Herbst 2024 stattfindet, die Mehrheit der schottischen Mandate für das britische Parlament, soll dies als Votum für die Unabhängigkeit gelten. »Falls die SNP diese Wahl gewinnt, dann hat das Volk gesprochen«, sagte Yousaf in der Stadt Dundee, einem Zentrum der Unabhängigkeitsbefürworter. Am Sonntag bekräftigte er in der BBC, er wolle dann umgehend Verhandlungen mit der britischen Regierung aufnehmen. Das Ziel: Entweder überträgt London dem Regionalparlament in Edinburgh das Recht, eine neue Volksabstimmung einzuberufen, oder entlässt Schottland direkt in die Unabhängigkeit.
Es gibt einen Haken
Doch was einfach klingt, hat einen ziemlichen Haken. Denn sowohl der konservative Premierminister Rishi Sunak als auch sein Herausforderer Keir Starmer von der Labour-Partei, die in Umfragen klar in Führung liegt, lehnen eine Abspaltung ab. Das Recht ist auf ihrer Seite: Im Dezember 2022 entschied der britische Oberste Gerichtshof, dass London einem Referendum zwingend zustimmen muss. Bei einer ersten Abstimmung 2014 hatte eine Mehrheit der Schotten für die Union votiert. Das war aber vor dem Brexit, den wiederum die meisten Menschen im nördlichsten britischen Landesteil ablehnen.
Yousaf greift nun eine Idee seiner Vorgängerin Nicola Sturgeon auf, als deren Vertrauter er gilt. »In der ersten Zeile auf der ersten Seite« des SNP-Wahlprogramms solle stehen, dass eine Stimme für die SNP eine Stimme für die Unabhängigkeit sei, sagte der 38-Jährige. Im eigenen Lager stößt Yousaf damit aber auf Gegenwind.
Ohne die Unterstützung anderer »Yes«-Kräfte sei ein Erfolg unmöglich, rügte Neale Hanvey von der Partei Alba. Die Organisation All Under One Banner kritisierte die Pläne als unkonkret. Nötig seien nicht Verhandlungen, sondern die klare Aussage, dass eine Mehrheit bei der Wahl tatsächlich die Loslösung bedeute. Sara Salyers von der Bewegung Salvo sagte der Zeitung »National«: »Uns sind die Optionen und die Zeit ausgegangen.« Die SNP zaudere - und verliere deshalb Wähler.
SNP stürzte ins Chaos
Tatsächlich fiel die SNP zuletzt in Umfragen erstmals seit vielen Jahren hinter Labour zurück. Nach dem Rücktritt von Sturgeon, dem Gesicht der Unabhängigkeitskampagne, stürzte die als unschlagbar geltende Regierungspartei ins Chaos. Zuerst zerrieben sich die Mitglieder in der Debatte um Sturgeons Nachfolge, dann eskalierte eine Finanzaffäre um mutmaßlich zweckentfremdete Spendengelder. Auch Sturgeon wurde vorübergehend zur Befragung festgenommen.
Politisch ist die Unabhängigkeitsbewegung geschwächt. Tatsächlich ist der Wunsch nach einer Loslösung durchaus verbreitet. Am Samstag marschierten etwa 6000 Menschen zum Ort der Schlacht von Bannockburn, wo 1314 der schottische Anführer Robert the Bruce die Engländer vernichtend schlug und einen entscheidenden Sieg auf dem Weg zur Unabhängigkeit errang. Umfragen zeigen zudem eine konstante Zustimmung von 48 Prozent, unabhängig von Sturgeons Rücktritt, wie der prominente Wahlforscher John Curtice für die BBC analysierte.
Doch das zeigt auch: Ein Momentum gibt es nicht, Yousaf hat viel Arbeit vor sich. An der Basis aber steigt die Unruhe. Der einstige Parteivize Jim Fairlie fragte, ob die SNP wohl bereit sei zum zivilen Ungehorsam und dazu, die Zusammenarbeit mit London zu verweigern. »Wir werden es sehen. Aber ich bezweifele es«, sagte Fairlie.
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