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Scholz will mit »Deutschland-Pakt« Tempo machen

Wirtschaftsflaute, Inflation, Ampel-Streit: Kanzler Scholz hat einen schweren Start in die zweite Hälfte der Wahlperiode. Jetzt versucht er mit einem Angebot aus der Defensive zu kommen.

Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz: »Tempo statt Stillstand, Handeln statt Aussitzen, Kooperation statt Streiterei. Das ist das Gebot der Stunde.« Foto: Michael Kappeler/DPA
Bundeskanzler Olaf Scholz: »Tempo statt Stillstand, Handeln statt Aussitzen, Kooperation statt Streiterei. Das ist das Gebot der Stunde.«
Foto: Michael Kappeler/DPA

Mit einem »Deutschland-Pakt« will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Wirtschaft wieder in Fahrt bringen und das Land schneller, moderner und sicherer machen. Der SPD-Politiker lud am Mittwoch Länder, Kommunen und die Opposition mit Ausnahme der AfD dazu ein, an einem Maßnahmenpaket zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, Digitalisierung der Verwaltung und Unterstützung für Unternehmen mitzuwirken.

»Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung. Also lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln«, sagte Scholz in der Generaldebatte des Bundestags. »Tempo statt Stillstand, Handeln statt Aussitzen, Kooperation statt Streiterei. Das ist das Gebot der Stunde.«

Länder und Opposition reagierten aber eher skeptisch auf den Vorstoß, teilweise sogar irritiert. »Wir, die Opposition, sind selbstverständlich bereit, vernünftige Vorschläge mitzumachen«, sagte Unionsfraktionschef Friedrich Merz bei »RTL Direkt«. »Der Bundeskanzler hat recht, aber da muss er zunächst einmal Ordnung in seiner eigenen Koalition suchen«, fügte der CDU-Chef hinzu. Zudem verwies er auf die Bundesländer, die bei entscheidenden Themen wie Bürokratieabbau und schnellere Genehmigungsverfahren schon seit längerem mehr Tempo durch den Bund forderten.

Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte in Richtung Ampel-Koalition: »Beenden Sie erst einmal die Streitereien in Ihrem eigenen Laden.« »Dann kann man sich darüber unterhalten, ob man mit uns kooperieren kann.«

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sprach von einem »PR-Gag«. »Ich fühle mich offen gesprochen veräppelt«, sagte er der »Rheinischen Post«. Es gehe um Projekte, die ohnehin schon in der Pipeline seien und die Länder schon seit langem forderten.

Zweiter Versuch, aus der Defensive zu kommen

In den vergangenen Wochen war es in der Koalition von SPD, Grünen und FDP zu massivem Streit vor allem über das Heizungsgesetz und die Kindergrundsicherung gekommen. Mehr als zwei Drittel der Deutschen zeigen sich in Umfragen inzwischen unzufrieden mit der Arbeit der Ampel-Regierung. Schon bei der Kabinettsklausur in Meseberg in der vergangenen Woche hatte die Regierung versucht, das Ruder herumzureißen, indem sie einen 10-Punkte-Plan für die Wirtschaft vorlegte.

Der »Deutschland-Pakt« ist nun der zweite Versuch, aus der Defensive kommen. Scholz reagiert damit auf stagnierendes Wirtschaftswachstum, Inflation, schleppende Digitalisierung, teils marode Infrastruktur und ausufernde Bürokratie in Deutschland. Der britische »Economist« stellte kürzlich sogar die Frage, ob Deutschland wieder »der kranke Mann Europas« sei.

Ein Pakt, vier Ziele

Mit Maßnahmen in vier Bereichen, die bis Ende des Jahres erarbeitet werden sollen, will der Kanzler nun gegensteuern:

- Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt werden, damit zum Beispiel Baugenehmigungen einfacher erteilt oder Masten fürs schnelle mobile Internet problemlos errichtet werden können.

- Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sollen gestärkt werden. Unter anderem sollen dazu die bereits vom Kabinett beschlossenen Steuererleichterungen für Unternehmen im Umfang von 32 Milliarden Euro umgesetzt, aber auch die Gründung von Start-up-Unternehmen erleichtert werden.

- Die Verwaltung soll weiter digitalisiert werden. Bis Ende 2024 sollen wichtige Dienstleistungen wie Anträge auf einen neuen Führerschein oder Personalausweis oder das Eltern- und Bürgergeld »durchgängig« online möglich sein.

- Die Einwanderung von Fachkräften aus dem Ausland soll weiter vorangetrieben werden, unter anderem durch beschleunigte Verfahren. Gleichzeitig soll »irreguläre« Einwanderung besser gesteuert und Abschiebungen sollen schneller durchgeführt werden.

Erst zofft sich Scholz mit Merz, dann macht er ihm Avancen

Die Ziele sind nicht neu. Neu ist aber, dass Scholz nun ein breites Bündnis zur Umsetzung sucht. Sein Angebot richtet sich an die 16 Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder, an die Landräte und Landrätinnen, Bürgermeister und Bürgermeisterinnen in der ganzen Republik. Es richtet sich auch an die »demokratische Opposition«. Damit meint der Kanzler alle Oppositionsparteien außer der AfD. Im Bundestag sind das CDU, CSU und die Linke.

Ausdrücklich richtete Scholz sein Angebot an Friedrich Merz, den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion. Bevor er ihm die Avancen machte, zoffte sich der Kanzler im Bundestag aber erst einmal mit Merz über die Finanzierung der Bundeswehr. Auf den Vorwurf des CDU-Chefs, Scholz werde seinen in der »Zeitenwende«-Rede formulierten Ansprüchen nicht gerecht, reagierte der Kanzler mit den Worten: »Es funktioniert nicht mit den Popanzen in dieser Republik.« Ein recht schroffer Ton, um ein Kooperationsangebot einzuleiten.

Kommt als nächstes der Deutschland-Gipfel?

In der folgenden Debatte zündete der Vorschlag des Kanzlers dann auch nicht so richtig. Die Fraktionschefs von SPD und FDP, Rolf Mützenich und Christian Dürr, stellten sich hinter die Initiative. Dobrindt nahm das Gesprächsangebot an. Eine echte Auseinandersetzung über den Vorstoß entwickelte sich aber nicht. Überhaupt hat der Bundestag schon deutlich lebhaftere Generaldebatten erlebt als diese. Angesichts der ziemlich düsteren Wirtschaftslage ist das dann doch eher überraschend.

Unklar ist, wie es nun weitergeht. Wie wird der Pakt organisiert? Ist der nächste Schritt ein Deutschland-Gipfel mit Ministerpräsidenten, Bürgermeistern, Landräten und Oppositionsvertretern? Was ist mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften? Scholz schloss sie nicht in sein Gesprächsangebot ein, forderte sie aber an anderer Stelle in seiner Rede auf, mit an einem Strang zu ziehen.

Erinnerungen an die »Ruck-Rede« von 1997

So manchen mag der Auftritt des Kanzlers an die berühmte »Ruck-Rede« von Bundespräsident Roman Herzog erinnert haben, der 1997 forderte: »Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen.«

Auch Scholz will Deutschland wie Herzog damals aus der Lethargie holen. »Nur gemeinsam werden wir den Mehltau aus Bürokratismus, Risikoscheu und Verzagtheit abschütteln, der sich über Jahre, Jahrzehnte hinweg auf unser Land gelegt hat«, sagte er im Bundestag.

Die Stoßrichtung Herzogs war damals aber eine andere. Er bereitete Deutschland auf Reformen vor, die für jeden einzelnen auch schmerzhaft sein können und später mit der Agenda 2010 der rot-grünen Regierung von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) dann auch kamen. Bei Scholz ist das anders. In seiner Rede geht es um das Fördern von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit, und nicht um das Fordern von Opfern.

Erst die »Zeitenwende«, jetzt der »Deutschland-Pakt«

Die zweite Hälfte der Wahlperiode hat nun jedenfalls eine Überschrift. Während es in den ersten zwei Jahren die »Zeitenwende« nach dem russischen Angriff auf die Ukraine war, der einen Paradigmenwechsel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik nach sich zog, ist es jetzt der »Deutschland-Pakt«. Bis zur Wahl 2025 wird vor allem darum gerungen werden, wie sich Deutschland im Inneren neu aufstellt.

© dpa-infocom, dpa:230906-99-89413/15