Bundeskanzler Olaf Scholz will gemeinsam mit europäischen Nachbarn ein neues Luftverteidigungssystem aufbauen. Ein solches System »wäre ein Sicherheitsgewinn für ganz Europa«, sagte der SPD-Politiker am Montag in einer Rede an der Karls-Universität in Prag. Zudem wäre es kostengünstiger und leistungsfähiger, als wenn jeder seine eigene, teure und hochkomplexe Luftverteidigung aufbaue.
In Europa habe man bei der Verteidigung gegen Bedrohungen aus der Luft und dem Weltraum »erheblichen Nachholbedarf«, sagte Scholz. Deutschland werde in den kommenden Jahren stark in die Luftverteidigung investieren - und so, dass sich europäische Nachbarn von Beginn an beteiligen könnten. Konkret nannte er die Niederlande, Polen, die baltischen Staaten Estland, Lettland
und Litauen, Tschechien, die Slowakei sowie die Partner in Skandinavien.
Die Forderung nach einem Raketenschutzschild für Deutschland wurde laut, weil Russland mit dem Angriff auf die Ukraine die Bedrohungslage in Europa verändert hat. Das Vorhaben gilt deshalb auch als Antwort auf den Krieg, der inzwischen mehr als ein halbes Jahr dauert.
»Fähigkeitslücke« bei Raketen aus großer Höhe
Details nannte der Kanzler noch nicht. Als wahrscheinliche Option gilt bei der Bundeswehr die Anschaffung des israelischen Systems Arrow 3. Dieses bildet die höchste Stufe von Israels mehrstufiger Raketenabwehr und kann angreifende Waffensysteme bis über 100 Kilometer Höhe außerhalb der Atmosphäre im beginnenden Weltraum zerstören. Damit vergrößert sich auch die am Boden geschützte Fläche und Sprengköpfe werden weit vom Ziel zerstört.
Aktuell hat Deutschland für den näheren Bereich und die Bekämpfung von Flugzeugen und Hubschraubern die Luftabwehrrakete Stinger im Einsatz, die für einen Abschuss von der Schulter aus auch in die Ukraine abgegeben wurde. Auf die mittlere Distanz wirkt das größere Patriot-System bis in Höhen von 30 Kilometern. Deutschland verfügt noch über zwölf Abschussanlagen - was bei weitem nicht für den Schutz des gesamten Landes reicht. Bei der Abwehr ballistischer Raketen, die auf ihrer Flugbahn große Höhen erreichen, wird der Bundeswehr eine »Fähigkeitslücke« bescheinigt.
Luftwaffenchef begrüßt Scholz' Vorstoß
Der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, hat den Vorstoß von Bundeskanzler Olaf Scholz für ein gemeinsames neues Luftverteidigungssystem in Europa willkommen geheißen. »Ich kann das als Luftwaffen-Chef nur begrüßen«, sagte der Generalleutnant am Montag am Rande eines Besuchs auf der estnischen Luftwaffenbasis Ämari. »Gerade im Bereich der Luftverteidigung und auch der Bodenunterstützung der Luftverteidigung macht das sicherlich Sinn, dass die Europäer sich hier zusammentun. Dass wir Fähigkeiten konsolidieren.«
»In Rede steht das Sytem Arrow 3. Es muss letztlich die Politik entscheiden, was wir kaufen«, sagte Gerhartz. »Aber gerade bei diesem System wäre es möglich auch aufgrund der Reichweiten, dass sich hier andere europäische Nationen, insbesondere europäische Nationen in Richtung des Ostens, daran beteiligen«. Sollte Deutschland es erwerben, könnte »ein erstes System sogar schon 2025 in eine erste Funktionsfähigkeit gehen«, sagte der deutsche Luftwaffen-Chef.
Kosten von ungefähr zwei Milliarden Euro
Nach Angaben von Experten ist das System Arrow 3 bereits darauf eingerichtet, in Strukturen der gemeinsamen Nato-Luftverteidigung integriert zu werden. Die Kosten werden grob auf zwei Milliarden Euro geschätzt. Das Geld für Investitionen könnte aus dem bereits angekündigten 100-Milliarden-Euro Topf kommen, mit dem Scholz die Bundeswehr modernisieren und stärken will.
Israel und die USA haben einem Verkauf des Arrow-3-Systems an Deutschland nach einem Medienbericht bereits grundsätzlich zugestimmt. Die Zeitung »Jerusalem Post« berichtete dies bereits im April unter Berufung auf Gerhartz. Israel und die USA entwickeln derzeit gemeinsam das Nachfolgesystem Arrow 4, das langfristig die alten ersetzen soll.
Allgemein sagte der Kanzler mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine, »Nie wieder Krieg« zwischen den Mitgliedstaaten sei das Ziel der Europäischen Union gewesen. Heute sei es an der Gemeinschaft, dieses Friedensversprechen weiterzuentwickeln - indem man die EU in die Lage versetze, ihre Sicherheit, Unabhängigkeit und Stabilität auch gegenüber Herausforderungen von außen zu sichern.
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