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Schily wirft Teilen des Landes Kriegsverherrlichung vor

Er war der Innenminister während der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder. Heute sieht Otto Schily die Politik Deutschlands gegenüber der Ukraine und Russland kritisch. Dabei macht er eine Ausnahme.

Otto Schily
Der frühere Innenminister Otto Schily. Foto: Jörg Carstensen
Der frühere Innenminister Otto Schily.
Foto: Jörg Carstensen

Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hat vor einem einseitigen Ukraine-Kurs Deutschlands gewarnt. »In Deutschland hat sich ein Bellizismus ausgebreitet, der riskant ist«, sagte Schily der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Mit Bellizismus ist eine Form der Kriegsverherrlichung gemeint. »Ausgerechnet bei den Grünen gibt es hier eine zu große Einseitigkeit«, so Schily.

»Dabei wird zu wenig darüber nachgedacht: Wie können wir aus dem Konflikt herauskommen?«, sagte er. »Positiv ist, dass Olaf Scholz sich diese Gedanken macht«, sagte er mit Blick auf den Bundeskanzler. Schily, der an diesem Mittwoch 90 Jahre alt wird, war von 1998 bis 2005 Bundesinnenminister während der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder (SPD).

»Notwendig ist politische Fantasie«

»Ich kritisiere den mörderischen Krieg ohne Abstriche. Aber wir müssen die Frage stellen, welche Perspektive es über Waffenlieferungen und Geldzuwendungen an die Ukraine hinaus geben kann«, sagte Schily. Konstruktive Ideen seien nötig. »Notwendig ist politische Fantasie.«

Die Ukraine wolle unabhängig bleiben. Das müsse jeder anerkennen. »Aber gleichzeitig muss klar sein, dass man mit seinen Nachbarn leben muss, auch mit Russland«, sagte Schily. »Beide Seiten haben Interessen, die berücksichtigt werden müssen.« Russland werde immer ein Faktor bleiben, auch gegenüber Europa. »Wir müssen einen Weg finden, mit den Russen klarzukommen.«

Schily wies auf die ethnische, sprachliche und kulturelle Vielfalt der Ukraine hin. »Die Mehrsprachigkeit inklusive der russischen Sprache ist eine unbestreitbare Tatsache.« Ratschläge von der Seitenlinie seien zwar immer mit Fragezeichen versehen. »Aber ein Blick auf andere Länder zeigt, dass die Interessen aller Seiten gewahrt werden können, wenn ein Land militärisch neutral bleibt«, sagte Schily. Damit lehnt Schily ein Nato-Beitritt der Ukraine ab.

Schweiz als Vorbild

Auch einen EU-Beitritt sieht er als wenig realistisch an - Schily empfiehlt stattdessen das »Modell Schweiz«. Die Schweiz habe es mustergültig verstanden, »eine freiheitliche Gesellschaft zu entwickeln mit wechselseitigem Respekt vor den unterschiedlichen ethnischen Prägungen und mit militärischer Neutralität«, sagte er. »Eine Friedenslösung für die Ukraine könnte sich ein Beispiel am Modell der Schweiz nehmen.« Er sehe nicht, »wie ein EU-Beitritt der Ukraine funktionieren soll, ohne dass sich die EU überdehnt«.

Hoffnung mache ihm, dass die Gesprächsfäden zwischen der Ukraine und Russland nicht abgerissen seien. Das zeige der zurückliegende Austausch russischer und ukrainischer Kriegsgefangener. Das Gleiche gelte für die USA und Russland - Schily verwies auf die Einigung auf gemeinsame Flüge zur internationalen Raumstation.

Ablehnung des Atomausstiegs

Ausdrücklich warnte Schily vor einer wirtschaftlicher Überforderung Deutschlands. »Das würde niemandem etwas nützen, auch nicht der Ukraine.« Schily sieht sich zudem in seiner langjährigen Ablehnung des Atomausstiegs bestätigt. »Jetzt zeigt sich umso mehr, dass die komplette Verabschiedung von der Nukleartechnik töricht war.«

Deutschland dürfe nukleartechnische Innovationen nicht weiter ignorieren. »Die komplette Verabschiedung aus der Nukleartechnik hat uns wirtschaftlich in eine hochriskante Situation gebracht.« Durch den gleichzeitigen Ausstieg von Atom und Kohle sei Deutschland vom Gas abhängig geworden. Zugleich steige mit der Energiewende der Strombedarf etwa wegen der E-Mobilität stark an.

© dpa-infocom, dpa:220719-99-72060/4