Logo
Aktuell Inland

Schatten über Lichterfest: Viele Ängste und Sorgen

Zum Entzünden des großen Chanukka-Leuchters am Brandenburger Tor kam in diesem Jahr erstmals der Bundeskanzler. Ein Zeichen der Solidarität. Viele Jüdinnen und Juden wünschen sich das auch im Alltag.

Chanukka-Leuchter
Rabbiner Yehuda Teichtal (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz zünden beim traditionellen zentralen Chanukka-Lichterzünden am Brandenburger Tor in Berlin ein Licht an. Foto: Sebastian Christoph Gollnow/DPA
Rabbiner Yehuda Teichtal (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz zünden beim traditionellen zentralen Chanukka-Lichterzünden am Brandenburger Tor in Berlin ein Licht an.
Foto: Sebastian Christoph Gollnow/DPA

Ein Licht entzünden, zusammenrücken, Zeichen setzen, darum geht es jetzt für Yehuda Teichtal. »Die Botschaft von Chanukka ist: Licht über Dunkelheit, Liebe über Hass«, sagt der Rabbiner der jüdischen Gemeinde Chabad Berlin. Trotz aller düsteren Nachrichten der vergangenen Wochen - bei der Zeremonie zum Anzünden des Chanukka-Leuchters am Brandenburger Tor in Berlin betonte Teichtal seinen Optimismus. »Mehr Licht, mehr Freude, mehr jüdisches Bewusstsein, das ist unsere Antwort«, rief er den geladenen Gästen zu.

Darunter war erstmals auch Bundeskanzler Olaf Scholz, der am Ende auf einer Hebebühne neben Teichtal das erste Feuer auf dem zehn Meter hohen Leuchter entfachte. Für Scholz war es eine Geste der Solidarität - und genau das forderte der Kanzler auch von allen anderen im Land. »Wir nehmen es nicht hin, wenn jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger Angst haben müssen, offen ihre Religion, ihre Kultur, ihren Alltag zu leben, wenn sie ihr grundlegendes Recht wahrnehmen, sichtbar zu sein, ein Recht, das alle Menschen in unserer Gesellschaft haben, ohne Unterschied«, sagte der SPD-Politiker.

Enorm viele antisemitische Vorfälle seit Anfang Oktober

Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hatten Meldestellen des Netzwerks Rias innerhalb von gut vier Wochen fast 1000 antisemitische Vorfälle registriert. Allein in Berlin waren es 282 derartige Taten. Jüdinnen und Juden berichten, dass sie ihre Zeichen verstecken, den Davidstern oder die Kippa. Jüdische Kitagruppen fahren nicht mehr U-Bahn, weil die Kinder dort hebräisch sprechen könnten. Juden, die sich noch in Busse und Bahnen trauen, hören dort Gespräche ihrer Mitmenschen, die über das Töten von Juden oder Israelis fantasieren. All das hat Rias erfasst.

Am größten aber war der Schock über sogenannte Markierungen - der Davidstern an Häusern, in denen Juden leben - und über einen Beinahe-Anschlag auf eine Berliner Synagoge im Oktober. »Dieser versuchte Brandanschlag hat zu einer enormen Erschütterung des Sicherheitsgefühls in den jüdischen und israelischen Gemeinschaften geführt«, berichtet Rias. Der frühere Außenminister Joschka Fischer bekannte auf »Zeit Online«, er hätte nicht für möglich gehalten, was seit dem 7. Oktober in Deutschland passiert sei. »Ich schäme mich für unser Land.«

»Licht, das die Dunkelheit vertreibt«

Das klingt düster zu Beginn eines eigentlich freudigen Fests, das dieses Jahr bis zum 15. Dezember dauert. Der Hintergrund von Chanukka ist zwar ganz anders als der von Weihnachten - erinnert wird an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem nach einem Aufstand gegen die Griechen 164 vor Christus und an das »Lichtwunder« eines acht Tage brennenden Leuchters. Traditionelle Speisen sind nicht Stollen und Lebkuchen, sondern in Öl gebratene Krapfen und Kartoffelpuffer. Aber Symbole und Botschaft ähneln sich doch: Licht in der dunklen Jahreszeit, das Feiern in der Familie, Geschenke.

»Chanukka ist eines meiner Lieblingsfeste in der jüdischen Liturgie«, sagt Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. »Gefeiert wird das Licht, das die Dunkelheit vertreibt.« Bildlich stehe das für die Angst, die verscheucht werden soll. Seit dem 7. Oktober lasse diese Angst viele Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft zwar nicht mehr ganz los. Die Gefährdung sei real, das werde sich nicht von heute auf morgen ändern, meint Klein. »Aber was mir Jüdinnen und Juden auch immer wieder sagen, ist, dass sich Angst besser ertragen lässt, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist.«

Ein Licht im Fenster, Aufstehen gegen Hass

Ein Zeichen der Zuwendung, jenseits des Streits über den Nahost-Konflikt, das wünschen sich viele Juden in Deutschland. Die Mehrheit der Nicht-Juden sei nicht antisemitisch eingestellt, aber Ängste von Juden seien vielen egal, sagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, der »Zeit«. »Sie denken nichts. Sie sagen nichts. Der Hass auf uns berührt sie nicht. Dieses Schweigen ist bitter.«

Es gebe Solidarität, sagte Rabbiner Teichtal ein paar Tage vor der Chanukka-Zeremonie. Aber sie sei nicht ausreichend. »Wir wünschen uns, dass mehr aufstehen. Der eine stellt ein Licht ins Fenster, der andere engagiert sich im Kiez, es gibt viele Wege und viele Zeichen. Jeder kann das machen nach seinen Möglichkeiten. Hauptsache ist, dass Menschen aufstehen und zeigen: Wir werden keinen Hass zulassen.«

Für Sonntag plant ein Bündnis um Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in Berlin eine große Kundgebung unter dem Titel »Nie wieder ist jetzt - Deutschland steht auf«. Auch Bundeskanzler Scholz stellte sich hinter den Aufruf zur Kundgebung. Bei der Zeremonie am Brandenburger Tor sagte er: »Mitgefühl und Solidarität zu zeigen mit unseren jüdischen Nachbarn und Freunden, Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen, das ist in diesen Tagen besonders wichtig. So kann jede und jeder von uns den Worten 'Nie wieder' Kraft verleihen.«

© dpa-infocom, dpa:231207-99-217303/4