Im Zusammenhang mit der 1999 aufgeflogenen CDU-Spendenaffäre um Helmut Kohl hat es nach Darstellung des im Dezember gestorbenen CDU-Politikers Wolfgang Schäuble auch eine »schwarze Kasse« bei der Unionsfraktion gegeben. Ihm sei erst im Nachhinein klar geworden, »dass auch eine Fraktionskasse, die ich als Parlamentarischer Geschäftsführer mit zu verwalten hatte, Teil des umfassenden Systems schwarzer Kassen war«, schrieb der an Weihnachten gestorbene Schäuble in seinen posthum veröffentlichten Memoiren. Bei der Spendenaffäre ging es um eine illegale Spendenpraxis der CDU in den 1980er und 1990er Jahren. Die Darstellungen Schäubles lassen sich kaum überprüfen - wichtige handelnde Akteure wie etwa Kohl leben nicht mehr.
Schäuble war von 1981 bis 1984 Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Kohl war von Dezember 1976 bis Oktober 1982 Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion und von 1982 bis 1998 Bundeskanzler.
»Kohl schien das Konto in seiner Zeit als Fraktionsvorsitzender angelegt zu haben, als Reserve außerhalb der Parteifinanzen im Adenauer-Haus, und wollte vermeiden, dass allzu viele Leute von dessen Existenz erfuhren«, schrieb Schäuble. Er fügte hinzu: »Die Attraktivität dieser «Geldaufbewahrung» ergab sich aus dem einfachen Umstand, dass der Bundesrechnungshof damals die Fraktionsfinanzierung noch nicht überprüfte.« Diese Lücke habe Kohl genutzt und halb scherzhaft von seiner »Kriegskasse« gesprochen.
»Staatsbürgerliche Vereinigung« war Geld-»Waschsalon«
Nach seiner Erinnerung habe das von der Fraktion geführte entsprechende Konto bei der Dresdner Bank damals einen Betrag von sechs bis sieben Millionen Mark enthalten, erinnerte sich Schäuble. Er vermute, dass das Geld »noch aus den Quellen der Staatsbürgerlichen Vereinigung stammte«. Schäuble ergänzte: »Die offizielle Begründung, der Betrag habe sich aus Beiträgen der Fraktionsmitglieder über die Jahre angehäuft, konnte auch den Gutgläubigsten nicht überzeugen.« Die 1990 aufgelöste »Staatsbürgerliche Vereinigung 1954 e.V., Köln/Koblenz«, war in den 1960er und 1970er Jahren besonders für die Unionsparteien und die FDP eine Art »Waschsalon« für Millionen-Beträge.
Kohl habe bei Geldbedarf den Generalbevollmächtigten der Schatzmeisterei der CDU-Zentrale vorbeigeschickt, schrieb Schäuble. Dieser habe ihm die notwendigen Auszahlungsunterlagen vorgelegt, »die ich dann nur unterschreiben musste«.
Erst viel später sei ihm »aufgegangen, welche besondere Rolle das besagte Konto im Rahmen der Spendenaffäre gespielt haben könnte«, schrieb Schäuble und fügte an: »Nachdem das Geld im Laufe der Jahre zusammengeschmolzen war, blieb für die Ausgaben, die Kohl in den neunziger Jahren tätigte, ohne deren Herkunft angeben zu können, ungefähr jener Betrag übrig - etwa drei Millionen DM -, den er als anonyme Spendengelder deklarierte.« Kohl habe insofern »nach der Angeklagtenlogik« agiert, »nur das öffentlich zuzugeben, was eben nachgewiesen war. Dies wusste ich, weil dieser Posten nach meiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden 1991 immer noch existierte.«
Kohl hatte eingestanden, in den 1990er Jahren etwa zwei Millionen D-Mark für die Partei entgegengenommen zu haben, ohne diese als Spende auszuweisen. Die Namen der Geldgeber hatte er nie preisgegeben. Kohl hatte sein Schweigen damit begründet, den Spendern sein Ehrenwort gegeben zu haben. Woher das Geld stammte, ist bis heute ungeklärt. Die Spendenaffäre stürzte die Partei in die schwerste Krise ihrer Geschichte.
»Ich habe nie nachgefragt«
Schäuble räumte Fehler im Umgang mit den Vorgängen ein. »Damals schob ich diese Dinge von mir weg. Wozu das Geld verwendet wurde, blieb mir verborgen. Mehr wusste ich nicht und wollte es auch nicht wissen«, schrieb er in seinen Memoiren. »Ich habe nie nachgefragt, denn es war klar, dass es sich hier um die Verfügungsmasse des Parteivorsitzenden handelte.« Er ergänzte: »Diese (wenn auch passive) Mitwisserschaft, die dazu hätte führen können, kritischer zu sein, Fragen zu stellen oder die nominelle Verantwortung für diese Vorgänge abzulehnen, machte mich selbstredend zu einem Teil des Systems Kohl.« Er sei »nicht stolz darauf, und ich hätte damals sorgfältiger und strenger sein müssen.«
In den Turbulenzen der CDU-Spendenaffäre und nach Aussagen zu einer 100.000-Mark-Barspende trat Schäuble im Februar 2000 als CDU-Chef und Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zurück. Angela Merkel wurde Parteichefin, 2005 machte sie als Kanzlerin Schäuble zum Innenminister, vier Jahre darauf zum Finanzminister. Dieses Amt hatte Schäuble zwei Wahlperioden inne.
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