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Söder lässt seinen Vize Aiwanger im Amt

Fast täglich gab es zuletzt neue Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger. Doch Bayerns Ministerpräsident Söder hält aktuell an seinem Vize fest. Zugleich hat er eine klare Botschaft für die politische Konkurrenz.

Hubert Aiwanger
Hubert Aiwanger spricht beim Volksfest in Keferloh bei München. Foto: Uwe Lein/DPA
Hubert Aiwanger spricht beim Volksfest in Keferloh bei München.
Foto: Uwe Lein/DPA

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hält trotz der Vorwürfe rund um ein antisemitisches Flugblatt an seinem Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) fest. Eine Entlassung wäre aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig, sagte Söder in München. Der CSU-Chef übte allerdings Kritik an Aiwangers Krisenmanagement.

Söder beteuerte zugleich, an der Koalition mit den Freien Wählern festhalten zu wollen. »Es wird definitiv in Bayern kein Schwarz-Grün geben.« Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hielt Söder vor, aus »schlichtem Machtkalkül« heraus zu handeln. In Bayern sind in fünf Wochen Landtagswahlen.

25 Fragen und ein langes Gespräch

Die bayerische Staatsregierung veröffentlichte am Sonntag unmittelbar nach der Pressekonferenz die von Söder gestellten 25 Fragen an Aiwanger sowie dessen Antworten. Gegen den Freie-Wähler-Chef waren seit mehr als einer Woche immer neue Vorwürfe laut geworden. Am Samstag vor einer Woche hatte er zunächst schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die »Süddeutsche Zeitung« berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien »ein oder wenige Exemplare« in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf erklärte Aiwangers älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Am Donnerstag entschuldigte sich Aiwanger erstmals öffentlich. Gleichzeitig ging der Freie-Wähler-Chef zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei - was ihm sofort neue Vorwürfe etwa des Zentralrats der Juden einbrachte. Den Fragenkatalog beantwortete Aiwanger dann bis Freitagabend schriftlich.

Söder sagte, er habe zudem ein langes Gespräch mit seinem Vize geführt. Aiwangers Krisenmanagement sei »nicht sehr glücklich« gewesen. Dieser hätte die Vorwürfe früher, entschlossener und umfassender aufklären müssen, sagte Söder. Die Entschuldigung und Distanzierung Aiwangers sei zwar spät, aber nicht zu spät gekommen. Nun müsse Aiwanger verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen und etwa Gespräche mit jüdischen Gemeinden suchen, forderte Söder.

Der Ministerpräsident erklärte, es sei um schwere Vorwürfe gegangen. Das Flugblatt sei »besonders eklig, widerwärtig, menschenverachtend und absoluter Nazi-Jargon«. Er habe genau abgewogen und ein faires Verfahren finden wollen. Ihm sei wichtig gewesen, nicht allein aufgrund von Medienberichten entscheiden und keine Vorverurteilung vornehmen zu wollen, sagte Söder. In der Gesamtabwägung wäre eine Entlassung aus dem Amt aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig.

Fünf entscheidende Punkte

Seine Entscheidung begründete Söder im Wesentlichen mit fünf Punkten: »Erstens er hat in seiner Jugend wohl schwere Fehler gemacht, das auch zugestanden. Er hat sich dafür zweitens entschuldigt, davon distanziert und auch Reue gezeigt.« Zweitens habe er sich entschuldigt und Reue gezeigt. »Drittens: Ein Beweis jedoch, dass er das Flugblatt verfasst oder verbreitet hat, gibt es bis heute nicht, dagegen steht seine ganz klare Erklärung, dass er es nicht war. Viertens: Seit dem Vorfall von damals gibt es nichts Vergleichbares. Fünftens: Das Ganze ist in der Tat 35 Jahre her. Kaum einer von uns ist heute noch so wie er mit 16 war«, erklärte der Ministerpräsident

Aus der bayerischen Opposition kam heftige Kritik an der Entscheidung Söders. SPD-Landeschef Florian von Brunn sprach von einem »traurigen Tag für das Ansehen von Bayern in Deutschland und der Welt«. Grünen-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann sagte der dpa, Söder habe »heute einen schlechten Deal für unser schönes Bayern gemacht.«

Auch Bundespolitiker kritisierten Söders Entscheidung. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf Aiwanger: »Sich als Jugendlicher möglicherweise zu verlaufen, ist das eine, sich als verantwortlicher Politiker zum Opfer zu machen und der Inszenierung wegen an den demokratischen Grundfesten zu rütteln, ist das andere.« Da sei eine Grenze überschritten. Vor dem Hintergrund sei die Entscheidung Söders »leider keine gute.«

Bundesinnenministerin Faeser, die als SPD-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl im Nachbarland Hessen antritt, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): »Herr Söder hat nicht aus Haltung und Verantwortung entschieden, sondern aus schlichtem Machtkalkül.«

Der Umgang mit Antisemitismus dürfe keine taktische Frage sein. »Herr Aiwanger hat sich weder überzeugend entschuldigt noch die Vorwürfe überzeugend ausräumen können.« Stattdessen erkläre er sich »auf unsägliche Weise« selbst zum Opfer. Dabei denke er »keine Sekunde an diejenigen, die noch heute massiv unter Judenfeindlichkeit leiden. So verschieben sich Grenzen, die nicht verschoben werden dürfen.« Faeser weiter: »Dass Herr Söder dies zulässt, schadet dem Ansehen unseres Landes.«

Besuch von Aiwanger in KZ-Gedenkstätten gefordert

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, legte Aiwanger einen Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau nahe. »Es wäre jetzt ein gutes Zeichen, wenn er nicht nur das Gespräch mit den jüdischen Gemeinden, sondern auch mit den Gedenkstätten in Bayern sucht und deren wichtige Arbeit stärkt, etwa durch einen Besuch in Dachau. Damit käme er seiner Vorbildfunktion als verantwortlicher Politiker nach«, sagte Klein dem RND.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, sagte: »Er muss Vertrauen wiederherstellen und deutlich machen, dass seine Aktionen demokratisch und rechtlich gefestigt sind.«

Dass Söder aktuell an Aiwanger festhält, dürfte insbesondere mit der Landtagswahl am 8. Oktober zusammenhängen. Auch wenn CSU und Freie Wähler ihre Koalition fortsetzen wollen, hatte Söder zuletzt gesagt, Koalitionen hingen »nicht an einer einzigen Person«. Und: »Es geht mit oder ohne einer Person im Staatsamt ganz genauso.« Die Freien Wähler stehen jedoch fest zu ihrem Vorsitzenden.

Bei Wahlkampfauftritten wurde Aiwanger auch am Sonntag wieder ungeachtet der Affäre teils kräftig gefeiert. Aiwanger sagte bei einem Auftritt in Grasbrunn: »Ich freue mich, dass wir politisch weiterarbeiten können, und in diesem Sinne arbeite ich für Bayern weiter.«

Söder verteidigt Aiwanger-Entscheidung

Söder wies Mutmaßungen zurück, er habe auch aus Angst vor einem Solidarisierungseffekt von Wählern mit Aiwanger so gehandelt. »Angst ist für mich kein Maßstab«, sagte er im ZDF-Sommerinterview. »Mir ging es einfach um Fairness.«

Er nahm Aiwanger gegen Kritik an dessen Klagen über eine angebliche »Schmutzkampagne« in Schutz: Dieser befinde sich spürbar in einer persönlichen Ausnahmesituation. »Da würde ich jetzt auch nicht jedes Wort und auch jede Emotion auf die Goldwaage legen«, sagte der CSU-Politiker.

© dpa-infocom, dpa:230903-99-56910/16