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Russland und Ukraine kämpfen um Meinungshoheit im Netz

Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat im Cyberraum bereits lange vor dem Einmarsch der Truppen begonnen. Soziale Medien wie Twitter, Telegram und Facebook sind zu einem Teil des Krieges geworden.

Telegram
Vor allem die App Telegram ist in Russland weit verbreitet. Foto: Fabian Sommer
Vor allem die App Telegram ist in Russland weit verbreitet.
Foto: Fabian Sommer

»Glauben Sie den Fälschungen nicht.« Mit einem knappen Satz auf Twitter und einem kurzen Video auf der Straße in Kiew konnte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Wochenende die Gerüchte widerlegen, er sei untergetaucht.

»Wir werden die Waffen nicht niederlegen, wir werden unseren Staat verteidigen«, sagte Selenskyj in die Selfie-Kamera seines Smartphones und räumte in einem Rutsch die russische Kriegspropaganda ab, er habe längst das Land verlassen.

Zahlreiche Informationen - echt oder unecht

Auf Twitter, Facebook und Tiktok hat der Ukraine-Konflikt ein Feuerwerk vermeintlicher oder auch echter Informationen ausgelöst. Das gilt auch für die in Russland und auch in der Ukraine relevanteren Dienste Telegram und Vk, eine Art Facebook-Klon. Dabei fällt es selbst professionellen Beobachtern nicht immer leicht, authentische Berichte vor Ort von gefälschten Informationen, Fotos und Videos zu unterscheiden.

Manche Fälschungen sind aber leicht zu durchschauen. Das gilt etwa für den Versuch, Bilder und Berichte von einem Beschuss eines Kindergartens in Luhansk am 17. Februar durch pro-russische Separatisten in Zweifel zu ziehen. Angeblich sei das Einschussloch in der Wand in der Turnhalle von einem Bagger aufgerissen worden, hieß es vor allem auf Telegram. Das Beweismittel, ein Foto mit dem Bagger, erwies sich schnell als plumpe Fälschung. Trotzdem wird es noch heute mit der Falschbehauptung weitergereicht.

In anderen Fällen sind die Bilder nicht mit Photoshop oder einer anderen Software manipuliert, aber trotzdem Teil einer großen Inszenierung. Das gilt etwa für den Beitrag des russischen Staatssenders RT über die Evakuierung von Dutzenden Waisenkindern, die von einem Kinderheim im ostukrainischen Donezk nach Russland vor der vermeintlichen Gefahr durch das ukrainische Militär in Sicherheit gebracht werden.

Facebook: Kein Geld für Propagandawerbung

Manipulative RT-Clips wie die inszenierte Kindergarten-Evakuierung wurden nicht nur massenhaft in sozialen Medien platziert, sondern auch durch bezahlte Anzeigen von RT in den Nachrichtenstrom auf Facebook eingeschleust. Doch dieser Kanal bleibt künftig versperrt. Facebook nimmt inzwischen kein Geld für Propagandawerbung mehr an und hat gleichzeitig die Werbefinanzierung der RT-Inhalte gestoppt.

Der Facebook-Konzern Meta weigerte sich gleichzeitig auch, die Faktenchecks durch unabhängige Medienorganisationen bei vier russischen Staatsmedien zu stoppen. Daraufhin hat die russische Regierung angekündigt, die Nutzung der Meta-Dienste Facebook, Instagram, WhatsApp und Messenger einzuschränken, bestätigte Facebook-Topmanager Nick Clegg.

Meta steht hier nicht allein. Auch Twitter und Google kündigten an, sich Fake News und Cyberangriffen rund um den Ukraine-Konflikt in den Weg zu stellen. »Unsere Teams für Bedrohungsinformationen halten weiterhin nach Desinformationskampagnen, Hacking und finanziell motiviertem Missbrauch Ausschau und unterbinden sie«, kündigte Google Europa auf Twitter an. »Wir arbeiten mit anderen Unternehmen und relevanten Regierungsbehörden zusammen, um diese Bedrohungen anzugehen.«

Für die Meinungsbildung in der russischen Zivilgesellschaft werden diese Abwehrmaßnahmen aber nur bedingt von Bedeutung sein. Die großen westlichen Internet-Konzerne haben hier deutlich weniger Reichweite als etwa in den USA oder Deutschland. Das liegt auch daran, dass die Dienste in Russland zum Teil nur schlecht zu erreichen sind.

Vor allem Telegram verbreitet

Viel wichtiger als Twitter und Facebook ist in Russland die App Telegram, die nicht nur zum Austausch von persönlichen Nachrichten dient, sondern mit seinen Diskussionsgruppen und Kanälen ein Social-Media-Netzwerk darstellt. Schätzungsweise jeder vierte russische Einwohner verfügt hier über einen Account. Hier können die russische Regierung und die Staatsmedien ungestört ihre Propaganda verteilen, ohne Faktenchecks oder Löschungen befürchten zu müssen.

Dabei ist das Verhältnis von Telegram zur russischen Staatsführung nicht ungetrübt, auch weil dort russische Oppositionelle oder die ukrainischen Kriegsgegner unzensiert zu Wort kommen. So verfügt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj über einen eigenen Telegram-Kanal, in dem auch seine aktuellen Videos zu sehen sind. Im Jahr 2018 versuchte die russische Aufsichtsbehörde Roskomnadsor eine Sperrung von Telegram durchzusetzen, weil der Dienst sich nach dem Terrorangriff in Sankt Petersburg im April 2017 mehrfach weigerte, den Behörden bei der Entschlüsselung privater Chats zu helfen. Telegram konnte die Sperrmaßnahmen allerdings technisch abwehren.

Telegram-Mitbegründer Pawel Durow erklärte am Wochenende, Telegram habe nicht die Kapazität, alle Veröffentlichungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. »Ich empfehle Nutzern aus Russland und der Ukraine, derzeit misstrauisch zu sein, was die Verbreitung von Daten über Telegram angeht. Wir wollen nicht, dass Telegram als Werkzeug zur Verschärfung von Konflikten und zur Aufstachelung von Zwietracht zwischen den Volksgruppen benutzt wird.« Zahlreiche Nutzer hätten ihn gebeten, die Feeds für die Dauer des Konflikts nicht abzuschalten, da Telegram ihre einzige Informationsquelle sei.

Kreml macht Druck mit Gesetz

Unterdessen erhöht Moskau den Druck auf die ausländischen IT-Konzerne. Im vergangenen November listete die Regierung 13 Unternehmen auf, die sich an ein neues Landesgesetz halten und einen festen Ansprechpartner für die russischen Börden zur Verfügung stellen müssen. Apple, Google, Spotify und TikTok sind den Forderungen inzwischen komplett nachgekommen, Twitter, Meta und Zoom zumindest teilweise. Telegram, Twitch, Discord und Pinterest haben bislang noch keine Aktionen unternommen.

Menschenrechtsgruppen wie die Londoner Nichtregierungsorganisation »Article 19« zeigten sich enttäuscht darüber, dass einige der Tech-Unternehmen das Gesetz ohne öffentliche Proteste befolgten. Das eigentliche Ziel des Gesetzes sei, eine rechtliche Grundlage für eine umfassende Online-Zensur zu schaffen.

Unterdessen wandte sich der ukrainische Minister für Digitalisierung, Vize-Premier Mychajlo Fedorow, in einem Brief an Apple-Chef Tim Cook und rief ihn auf, die Sanktionen gegen Russland durch Blockierung von Apple-Diensten einschließlich des App-Stores zu flankieren. »Wir brauchen ihre Unterstützung - im Jahr 2022 ist moderne Technologie vielleicht die beste Antwort auf die Panzer, Mehrfachraketenwerfer (Grad) und Raketen«, schrieb Fedorow auf Twitter.

© dpa-infocom, dpa:220228-99-319599/3