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Russland fürchtet die Rückkehr der Wagner-Söldner

Knast, Krieg, Freiheit: Für Russland kämpfen in der Ukraine verurteilte Straftäter. Rund 5000 von Kremlchef Putin Begnadigte sind inzwischen zurück im Alltag. Russischen Frauen macht das Angst.

Gruppe Wagner: Jewgeni Prigoschin
Warlord, der keinen Widerspruch duldet: Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen Privatarmee Wagner, setzt auf Kriegsführung mit Verurteilten - nicht alle Russen unterstützen das. Foto: Sergei Ilnitsky
Warlord, der keinen Widerspruch duldet: Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen Privatarmee Wagner, setzt auf Kriegsführung mit Verurteilten - nicht alle Russen unterstützen das.
Foto: Sergei Ilnitsky

Zu Tausenden kehren inzwischen ehemalige Häftlinge, die sich für den Krieg in der Ukraine verpflichtet haben, in den russischen Alltag zurück. »Sie sind zu echten Patrioten ihres Landes geworden«, rühmt sich der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, der die verurteilten Straftäter im vergangenen Jahr in Gefängnissen des Riesenreichs anwarb.

Sechs Monate sollten sie dienen - und im Gegenzug ihre Freiheit erlangen. »Mehr als 5000 haben ihre Verträge erfüllt«, sagt Prigoschin. Die Zahl derer, die den Krieg nicht überlebten, nennt er nicht. Aber er sieht sie alle als Helden: die Toten und die Überlebenden.

Der Kreml in Moskau spricht nicht über die für solche Einsätze von Gefangenen im Kriegsgebiet nötigen Begnadigungen durch Präsident Wladimir Putin. Staatsgeheimnis! Die Dekrete des Kremlchefs dazu werden aber teils von den Familien der Betroffenen veröffentlicht.

Heldenbegräbnisse für frühere Schwerverbrecher

Der Putin-Vertraute Prigoschin geht dagegen offensiv mit dem in Russland nicht unumstrittenen Thema um. Legalisiert ist zwar weder Prigoschins Söldner-Armee noch die Möglichkeit für den Wagner-Chef, in Russlands Gefängnissen ein- und auszugehen. Aber der Warlord, der sich im Moment vor allem auf die Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Bachmut im Gebiet Donezk in der Ukraine konzentriert, hat immer wieder Zugeständnisse durchgedrückt für seine Privatarmee.

Die Kämpfer sind nun in vielerlei Hinsicht den regulären russischen Streitkräften gleichgestellt. Der 61-jährige Prigoschin setzte auch Heldenbegräbnisse für im Krieg getötete frühere Schwerverbrecher durch, wenn Kommunen sich weigerten, ihnen solch eine letzte Ehre zu gönnen. Bisweilen ist der Widerstand in den Gemeinden groß, weil insbesondere Tötungsdelikte mancher Täter nicht vergessen sind.

Für Prigoschin spricht dagegen vieles für sein Modell der Kriegsführung auch mit Verurteilten. Er behauptet, dass die Erfahrung auf dem Schlachtfeld viele Straftäter davon abbringen würde, neue Verbrechen zu begehen.

»Sie schätzen das Leben, sie wollen ihr Land lieben, sie wollen nicht ins Gefängnis zurück.« Nach Schätzungen kämpften zeitweilig rund 50.000 Strafgefangene in den Wagner-Reihen.

Prigoschin spottet über Russlands Elite

Mittlerweile wirbt Prigoschin keine Straftäter mehr an. Er betreibt Rekrutierungszentren im Land, um unbescholtene Freiwillige für den Krieg zu gewinnen. Dass ehemalige Straftäter nicht willkommen seien, sagt für ihn viel aus über sein Land und die dortige Elite: Russlands Bürokraten wollten lieber in einer heilen Welt leben. Ehemalige Straftäter hätten wegen des Geflechts an Beziehungen und der in diesen Kreisen verbreiteten »Speichelleckerei« auch keine Chance, ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden, ätzt er.

»Das System gibt ihnen keine Gelegenheit, zu einem normalen Leben zurückzukehren«, sagt er über die begnadigten Straftäter, die im Krieg gekämpft haben. Sie hätten zwar durch den Kampf ihre Schuld gegenüber dem Land beglichen. Trotzdem sehe die Elite diese Art von »Heroismus« als Gift.

Sie wolle keine verurteilten Straftäter in ihren Reihen. Und der Staat wolle für die Geschichte alle davon überzeugen, dass saubere Generäle in der Ukraine kämpften - »und nicht einfache russische Kerle, darunter auch aus Haftanstalten, die Siege in diesem Krieg errungen haben«.

Ein Prigoschin-Schützling mordete nach der Rückkehr erneut

In Teilen der Bevölkerung macht sich längst Angst breit, dass die Freigelassenen nach dem Kriegsdienst neue Straftaten begehen. Frauen protestieren, dass Banditen, Vergewaltiger und Mörder in Freiheit kämen. »Sie werden jetzt noch zu Kriegsverbrechern«, heißt es etwa bei der Feministischen Antikriegsbewegung. »Ihre Begnadigung ist eine direkte Bedrohung für die Sicherheit und das Leben der Frauen und ihrer Kinder.« Durch die Kriegstraumata steige das Risiko der Gewalt, warnt die Bewegung.

Auch Prigoschin musste erleben, dass einer seiner wegen Mordes verurteilten Schützlinge nach der Rückkehr in seine Heimatregion erst ein Autofenster mit einer Axt einschlug und dann eine 85 Jahre alte Frau im Nachbarort tötete. Von seinen 14 Jahren Haft hatte der Mann gerade einmal zwei abgesessen, als ihn der Wagner-Chef voriges Jahr für den Krieg engagierte.

Wagner trage die Verantwortung für seine Kämpfer, räumt Prigoschin ein. »Wir heilen sie, versorgen sie mit Prothesen, zahlen alles, was wir zahlen sollen.«

Rehabilitation in einem Moskauer Nobel-Vorort?

Die in dem von Putin eingesetzten Menschenrechtsrat arbeitende Eva Merkatschowa meint, dass Russland ein Rehabilitierungswesen brauche, weil bei den »oft so schon gestörten« Straftätern nun noch die Kriegstraumata hinzukämen. Ein Kriegsorden helfe ihnen nicht, im Leben anzukommen, Arbeit zu finden. In Russland fehle bisher ein System, um Straftäter auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten.

Auch Prigoschin sieht offenbar Handlungsbedarf im Umgang mit den traumatisierten Heimkehrern aus dem Krieg. Der Geschäftsmann will nun ein eigenes Grundstück in dem bei Reichen beliebten Moskauer Vorort Barwicha für den Bau eines psychologischen Rehabilitationszentrums für Kriegsteilnehmer, darunter ehemalige Strafgefangene, hergeben.

Dazu forderte er den Gouverneur des Moskauer Gebiets, Andrej Worobjow, gerade in einem Brief samt Architekturzeichnungen auf, den Bau des Zentrums »Rubka« zu genehmigen. Widerspruch von Behörden duldet er nicht.

© dpa-infocom, dpa:230407-99-241640/3