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Russischer Staatsterror? Prozess um Mord an Oppositionellem

Das Urteil im »Tiergarten-Mord« führte zu diplomatischen Verwicklungen zwischen Russland und Deutschland. Nun geht es um einen ähnlichen Fall. Sehen die Richter auch hier russischen Staatsterrorismus?

Ramsan Kadyrow
Wegen Kritik an Ramsan Kadyrow (M) sollte ein Mann in Deutschland umgebracht werden. Foto: AP
Wegen Kritik an Ramsan Kadyrow (M) sollte ein Mann in Deutschland umgebracht werden.
Foto: AP

Auf den Tag genau ein halbes Jahr nach dem Urteil im sogenannten »Tiergarten-Mordprozess« beginnt an diesem Mittwoch (15. Juni, 10.00 Uhr) vor dem Oberlandesgericht München der Prozess um einen ganz ähnlichen Fall:

Der Russe Valid D. soll im Auftrag der tschetschenischen Regierung den Mord an einem in Deutschland lebenden Oppositionellen und Kritiker des Putin-treuen tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow vorbereitet haben.

»Anklage wegen Sichbereiterklärens zu einem Mord im staatlichen Auftrag«, schreibt der Generalbundesanwalt in seiner Mitteilung. Er wirft ihm außerdem die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und Verstöße gegen das Waffengesetz vor.

Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass »ein Mitglied im Sicherheitsapparat des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow« den Angeklagten in der ersten Jahreshälfte 2020 beauftragte, einen in Deutschland im Exil lebenden Oppositionellen umzubringen, der sich gemeinsam mit seinem Bruder in sozialen Medien für ein unabhängiges Tschetschenien ausspricht. Ziel der geplanten Tat soll es gewesen sein, »insbesondere den Bruder des avisierten Opfers zum Schweigen« zu bringen.

Expertin Heß: »Tradition russischer Auftragsmorde in Europa«

»Vom Prinzip her ist der Fall ähnlich gelagert, wie der Tiergarten-Mord«, sagt die Tschetschenien-Expertin Miriam Katharina Heß von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. »Man kann ihn in die Tradition russischer Auftragsmorde in Europa setzen.«

Wegen der Erschießung eines Georgiers im August 2019 in der Parkanlage Kleiner Tiergarten in Berlin war ein Russe Mitte Dezember 2021 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Im Urteil war von »Staatsterrorismus« die Rede: Nach Überzeugung der Richter handelte der 56-Jährige im Auftrag staatlicher russischer Stellen. Russland wies solche Vorwürfe zurück. Das Urteil führte zu diplomatischen Verwerfungen zwischen Deutschland und Russland. Beide Staaten wiesen jeweils mehrere Diplomaten des anderen Landes aus.

»Der Tiergartenmord war ein Präzedenzfall für die tschetschenische Community, weil dort gerichtlich festgestellt wurde, dass es sich um russischen Staatsterrorismus handelt.« Ob das Oberlandesgericht München in dem neuen Fall ähnlich entscheidet und auch die explizite Verbindung zu Russland herstellt, wie es das Berliner Gericht getan hat, das sei nun die spannende Frage.

Verfolgung nur mit Zustimmung Putins möglich

»Man kann natürlich nicht direkt sagen: Es war Putin«, sagt Heß. Allerdings gebe es seit 2006 ein Gesetz, das besagt, dass die Verfolgung von Inlands-Terroristen (und als solche gelten Oppositionelle in Russland) nur mit ausdrücklicher Zustimmung des russischen Präsidenten erfolgen kann. »Das muss das Oberhaupt der russischen Zentralregierung unterschreiben - also Putin.« So ergebe sich eine Beweisführung, die nicht nur den tschetschenischen Präsidenten, sondern auch den russischen belasten könne.

»Das Vorgehen ist immer das gleiche«, sagt Heß: Das Ziel sei immer jemand, der sich kritisch über die russische Regierung oder das Kadyrow-Regime äußere. Und dann suche dieses Regime sich »eine zufällig ausgewählte Person aus der Zivilbevölkerung«, die keine offensichtliche Beziehung zum russischen Staatsapparat hat.

Laut Anklagebehörde soll der nun angeklagte Mann zugesagt haben, die Tat zu begehen. Den Angaben zufolge besorgte er sich eine Schusswaffe mit Munition und Schalldämpfer, brachte die Adresse des Opfers in Erfahrung und spähte im Sommer 2020 dessen Wohnort aus.

Schießübungen mit weiterem Attentäter

Hilfe sollte er bei seinem Vorhaben bekommen von einem weiteren potenziellen Attentäter, den er nach Angaben des Generalbundesanwaltes aus Tschetschenien nach Deutschland einschleuste, wo die beiden gemeinsam eine Schießübung mit der Tatwaffe durchgeführt haben sollen. Der Mann hatte den Auftrag laut Generalbundesanwalt aber aus Angst vor Konsequenzen nur zum Schein angenommen und nie vor, das Attentat zu begehen. Der Angeklagte wurde verhaftet, bevor er seinen mutmaßlichen Plan in die Tat umsetzen konnte. Welche Rolle sein angeblicher Komplize bei der Verhaftung spielte, teilte die Anklagebehörde nicht mit.

Aus Sicht von Expertin Heß ist es von großer Bedeutung, dass Fälle wie dieser nicht nur politisch verurteilt, sondern auch juristisch aufgearbeitet werden - »weil eben diese Auftragsmorde in Europa einfach zunehmen«, spätestens seit 2009, seit Kadyrow an der Macht sei. »Dieses gerichtliche Bearbeiten und Feststellen der Schuldigkeit« sei wichtig und die deutsche Justiz mit dem Berliner Urteil mutig gewesen. »Die deutsche Rechtsprechung gehört zu denen, die am mutigsten und progressivsten sind.«

Möglich sei sogar, dass die Münchner Richter noch deutlicher werden als die Berliner. Im vergangenen Jahr habe die Belastbarkeit deutsch-russischer Beziehungen noch eine Rolle gespielt. Seit dem Angriffskrieg von Präsident Wladimir Putin gegen die Ukraine sei das anders: »Die Frage der Belastbarkeit stellt sich nicht mehr.«

© dpa-infocom, dpa:220612-99-633267/3