Einer der mutigsten Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Alexej Nawalny, ist nach Justizangaben in einem Straflager jenseits des Polarkreises gestorben - wenige Wochen bevor der Kremlchef sich für eine weitere Amtszeit bestätigen lassen will.
Der 47-Jährige sei nach einem Hofgang zusammengebrochen, teilte die Gefängnisverwaltung im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen offiziell mit. Die Familie wurde bis zum Abend nicht offiziell informiert.
Vom Nawalny-Mitarbeiter Iwan Schdanow hieß es, Nawalny sei »höchstwahrscheinlich« tot. Eine Reaktion von Putin stand noch aus. Mitarbeiter des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny haben Berichte über dessen Tod als sehr glaubwürdig eingestuft. »Wir verstehen, dass es höchstwahrscheinlich so passiert ist, dass Alexej Nawalny getötet wurde. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit«, sagte der im Exil lebende Direktor von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung, Iwan Schdanow, während einer Liveschalte auf Youtube. An seiner Seite saß Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch.
»Wir werden euch keine Lügen erzählen darüber, dass es irgendeine Hoffnung gibt, dass sich morgen herausstellt, dass das nicht wahr ist«, sagte der bekannte Nawalny-Unterstützer. »Eine solche Chance ist geringfügig.« Schdanow fügte hinzu: »Derzeit deutet alles darauf hin, dass sich tatsächlich ein Mord ereignet hat - der Mord an Alexej Nawalny im Gefängnis. Und getötet hat ihn (Wladimir) Putin.«
Sprecherin Jarmysch betonte, dass das Team nach wie vor keine eigene Bestätigung für den Tod Nawalnys habe. Ein Anwalt sei gemeinsam mit Verwandten auf dem Weg zum Straflager im hohen Norden Russlands, werde dort aber voraussichtlich erst am Samstagmorgen eintreffen. »Bis zu diesem Moment können wir keine Bestätigung bekommen. Deshalb können wir die Berichte all der Kreml-Nachrichtenagenturen darüber, dass Nawalny tot ist, offiziell nicht bestätigen oder dementieren.«
Der Tod des Oppositionspolitikers, der nach einem Giftanschlag trotz drohender Haft 2021 nach Russland zurückgekehrt war, löste in vielen Ländern Bestürzung aus. Politiker warfen Putin und dem russischen Justizsystem einen politischen Mord vor.
Reaktionen auf den Tod
In Moskau legten Anhänger Nawalnys Blumen an einem Denkmal für die Opfer politischer Repression nieder. In Berlin zogen einzelne Demonstranten vor die russische Botschaft. Bundeskanzler Olaf Scholz reagierte entsetzt auf Berichte über den Tod Nawalnys. »Wir wissen aber nun auch ganz genau, spätestens, was das für ein Regime ist«, sagte der SPD-Politiker.
Scholz erinnerte bei einer Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj daran, wie er Nawalny in Berlin getroffen habe, als dieser sich 2020 in Deutschland von dem Giftanschlag erholt habe. Dabei habe er mit Nawalny auch über den Mut geredet, den es erfordere, wieder zurückzugehen in das Land. Scholz: »Und wahrscheinlich hat er diesen Mut jetzt bezahlt mit seinem Leben.«
Selenskyj, dessen Land von Russland mit Krieg überzogen wird, sagte: »Es ist für mich offensichtlich: Er wurde getötet. Wie andere Tausende, die zu Tode gequält wurden wegen dieses einen Menschen.« Putin sollte dafür zur Verantwortung gezogen werden. Die US-Regierung nannte den Tod des russischen Oppositionspolitikers eine »schreckliche Tragödie«.
Der Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, sagte im Gespräch mit dem Radiosender NPR, dass Washington Regierung noch keine eigene Bestätigung für den Tod habe und sich daher mit Kommentaren zurückhalte. »Angesichts der langen und schmutzigen Geschichte der russischen Regierung, ihren Gegnern Schaden zuzufügen, wirft dies reale und offensichtliche Fragen darüber auf, was hier passiert ist«, sagte Sullivan.
Nawalnys Frau Julia richtet sich an Weltgemeinschaft
Bei der Münchner Sicherheitskonferenz rief Nawalnys Frau Julia die Weltgemeinschaft auf, gegen Putin und sein Regime zusammenzustehen und es zu besiegen. »Dieses Regime und Wladimir Putin persönlich sollten zur Verantwortung gezogen werden für all diese Gräueltaten, die sie in den letzten Jahren in meinem Land, in unserem Land Russland verübt haben«, sagte Nawalnaja. Eine eigene Bestätigung für den Tod ihres Mannes habe sie nicht. Sie riet zu Skepsis gegenüber den Moskauer Angaben.
Aus dem europäischen Teil Russlands war Nawalny erst vor wenigen Wochen in das Straflager im Ort Charp in Sibirien nördlich des Polarkreises verlegt worden. Vor der Präsidentenwahl am 17. März habe der Kreml ihn dort noch stärker isolieren wollen, mutmaßte Nawalny.
»Am 16.2.2024 hat sich der Gefangene Alexej Nawalny nach einem Hofgang in der Strafkolonie Nr. 3 unwohl gefühlt und hat fast sofort das Bewusstsein verloren«, zitierte die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass aus der Mitteilung der Gefängnisverwaltung. Wiederbelebungsversuche seien erfolglos geblieben. »Die Notärzte stellten seinen Tod fest. Die Gründe des Todes werden untersucht«, hieß es demnach.
Kommission entsandt zur Untersuchung
Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, Putin sei in Kenntnis gesetzt worden. Der Präsident selbst besuchte am Freitag im Rahmen seiner Wahlkampagne Industriebetriebe in Tscheljabinsk am Ural und äußerte sich nicht dazu. Aus formalen Gründen entsandte die russische Strafvollzugsbehörde eine Kommission in das Lager, um den Tod zu untersuchen. Auch das Staatliche Ermittlungskomitee leitete ein Verfahren ein.
»Ich denke, das war ein Unglück. So etwas kommt vor«, sagte der Abgeordnete Wladimir Dschabarow einem Moskauer Radiosender. Der prominente kremlnahe Politiker Sergej Mironow behauptete: »Der Westen steht dahinter.« Einen Nutzen hätten nur die Feinde Russlands, sagte der Chef der Parlamentsfraktion der Partei Gerechtes Russland. Die Umstände des Todes müssten aufgeklärt werden. Jeder könne aber selbst Schlüsse daraus ziehen, dass Nawalny ausgerechnet jetzt sterbe, da sich im Ukraine-Konflikt die Chance von Verhandlungen zwischen dem Westen und Russland auftue.
Nawalnys Werdegang
Nawalny hatte eine lange Geschichte als Kremlgegner hinter sich, in der er anfangs auch den Schulterschluss mit Nationalisten suchte. Mit seinem Fonds zur Bekämpfung der Korruption veröffentlichte er Videos, in denen er Fälle von Bereicherung und Bestechlichkeit russischer Politiker auf sarkastische Weise anprangerte. Er entwarf viele Kampagnen, um die Politik der autoritären Führung zu unterlaufen, mobilisierte gerade junge Menschen in Russland. Er hoffte immer darauf, selbst als Präsident kandidieren zu können.
Die russische Justiz überzog ihn dagegen immer wieder mit Verfahren. Nawalny wurde wegen angeblichen Betrugs, aber auch unter dem Vorwurf des Extremismus zu insgesamt 19 Jahren Lagerhaft verurteilt. International jedoch wurde der Politiker, der 2020 nur knapp einen Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok überlebte, als politischer Gefangener eingestuft. Menschenrechtsorganisationen fordern seit langem Nawalnys Freilassung.
Nachdem er in Deutschland von den Folgen des Giftanschlags behandelt worden war, kehrte Nawalny am 17. Januar 2021 nach Russland zurück - und wurde noch am Flughafen verhaftet. Schon im vergangenen Dezember war der als politischer Gefangener eingestufte Politiker über mehrere Wochen verschwunden, bis er in dem Lager in Charp auftauchte.
Immer wieder Klagen gegen den Strafvollzug
Nawalny führte immer wieder Klagen gegen den Strafvollzug wegen Verletzung seiner Rechte. Er nutzte die Gerichtsauftritte nicht zuletzt zur beißenden Kritik an Putins autoritärem System und Moskaus Krieg gegen die Ukraine. Wegen angeblicher Verstöße gegen die Lagerordnung wurde er immer wieder in Isolationshaft gesteckt. Dies könnte seine Gesundheit verschlechtert haben, sagte Dmitri Muratow, der frühere Chefredakteur der »Nowaja Gaseta«. Zuletzt war Nawalny am Donnerstag per Video zu einem Prozess zugeschaltet worden und habe dort den Umständen entsprechend noch »fröhlich, gesund und munter« gewirkt, schrieben die Journalisten des Kanals »Sota« am Freitag auf Telegram.
»Ich habe mein Land und meine Überzeugungen«, hatte Nawalny im Januar drei Jahre nach seiner Rückkehr nach Russland auf X geschrieben. Wer in Russland dafür einstehen wolle, müsse notfalls bereit sein, in Einzelhaft zu sitzen. »Natürlich bin ich nicht gerne dort. Aber ich werde weder meine Ideen noch meine Heimat aufgeben.«
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