Bei der Suche nach einem Nachfolger des britischen Premierministers Boris Johnson setzt die regierende Konservative Partei hohe Hürden und drückt aufs Tempo. Wie der Vorsitzende des zuständigen 1922-Komitees, Graham Brady, am Montagabend mitteilte, wurde die Zahl der für eine Teilnahme notwendigen Unterstützer aus der Fraktion von acht auf 20 erhöht. Bewerbungen werden demnach nur am Dienstag entgegengenommen.
Am Mittwoch soll es bereits zu einer ersten Abstimmungsrunde in der Fraktion kommen. Wer dann die Marke von 30 Stimmen verfehlt, ist aus dem Rennen. Am Donnerstag und kommenden Montag soll der Prozess fortgesetzt werden. Brady zeigte sich zuversichtlich, dass dann bereits die Zahl der Bewerber auf zwei reduziert sein könnte. Bis zum 5. September sollen dann die Parteimitglieder per Briefwahl entscheiden, wer von den beiden verbliebenen Kandidaten Johnsons Nachfolge als Tory-Parteichef und damit als Premier antritt.
»Ich hoffe, dass es relativ schnell geht«, sagte Brady zu den Abstimmungsrunden in der Fraktion. Die Parteimitglieder sollten über den Sommer die Gelegenheit haben, sich ein Bild von den Bewerbern zu machen.
Bereits elf Bewerbungen bekannt
Bis Montagabend hatten elf Bewerber ihre Kandidatur erklärt. Einer Umfrage der Webseite Conservative Home zufolge liegen Handelsstaatssekretärin Penny Mordaunt und die Abgeordnete Kemi Badenoch in der Gunst der Parteimitglieder vor den prominenteren Kandidaten wie Ex-Finanzminister Rishi Sunak, Chefjustiziarin Suella Braverman und Außenministerin Liz Truss. Es wird sich aber erst noch zeigen, ob die Favoriten der Mitglieder es durch den Auswahlprozess in der Fraktion schaffen.
In den Wettbüros gilt derzeit Sunak als Favorit, aber Teile der Partei kritisieren ihn. Ihm wird vorgeworfen, mitschuldig an Johnsons Sturz zu sein und zudem mit Steuererhöhungen eine »sozialistische« Wirtschaftspolitik verfolgt zu haben.
Amtsinhaber Johnson kündigte an, sich aus dem Wahlkampf herauszuhalten. »Ich möchte niemandem die Chance verbauen, indem ich meine Unterstützung anbiete«, sagte der 58-Jährige mit Blick auf die schwere Kritik, die er von seiner Partei in den vergangenen Tagen einstecken musste.
Rückzug nach Druck aus den eigenen Reihen
Johnson kündigte am Donnerstag nach massivem Druck aus den eigenen Reihen seinen Rückzug an. Der Premier hatte zuvor Skandal an Skandal gereiht. Zuletzt wurde ihm eine Affäre um sexuelle Belästigung zum Verhängnis: Ein Parteifreund soll schwer betrunken zwei Männer begrapscht haben. Wie sich herausstellte, hatte Johnson den Mann in einem wichtigen Fraktionsamt installiert, obwohl er von ähnlichen Vorwürfen aus der Vergangenheit wusste. Doch das war nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Fast alle Bewerberinnen und Bewerber kündigten sofortige Steuersenkungen an. Zudem wollen die meisten an umstrittenen Plänen Johnsons wie der einseitigen Aufhebung von Brexit-Regeln für Nordirland und dem Asyl-Pakt mit Ruanda festhalten. Illegal eingereiste Menschen sollen demnach ohne Prüfung ihres Asylantrags und unabhängig von ihrer Nationalität nach Ruanda gebracht werden, um dort Asyl zu beantragen. Die Opposition fordert eine Neuwahl. Der Chef der Labour-Partei, Keir Starmer, warf den Tory-Kandidaten vor, unerfüllbare Steuerversprechen zu machen.
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