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Rüstungsproduktion: Panzerbauer fordern politischen Konsens

Warum kommt die Rüstungsproduktion nicht in Gang? Eigentlich ist alles bereit, so ein führender Rüstungsmanager. Norwegen platziert eine Großbestellung, die Ampel steht noch nicht im Startblock.

Schützenpanzer »Puma«
Ein vor Ort produzierter Schützenpanzer »Puma« steht am Eingang vom Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann in Kassel. Foto: Swen Pförtner
Ein vor Ort produzierter Schützenpanzer »Puma« steht am Eingang vom Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann in Kassel.
Foto: Swen Pförtner

Der Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann (KMW) sieht keine industriellen Hindernisse für ein deutliches Hochfahren seiner Produktion. Sein Unternehmen frage dazu laufend alle Unterlieferanten, welche Produktionsraten möglich seien, sagte KMW-Chef Ralf Ketzel der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. »Ein Signal wie etwa «das geht gar nicht» hat uns bisher niemand gegeben«, sagte er. »Was wir dafür brauchen, ist ein klarer politischer Konsens.«

Fast ein Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine werden Kapazitäten und Fähigkeiten westlicher Rüstungsunternehmen absehbar bis Sonntag auch Thema auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) sein. Aus der deutschen Rüstungsindustrie wird immer deutlicher kritisiert, dass die Bundesregierung ungeachtet aller politischen Erklärungen kaum Aufträge vergibt.

Unterdessen hat die norwegische Rüstungsbeschaffungsbehörde (NDMA) bei KMW am Freitag 54 Leopard-2-Kampfpanzer in der neuesten Version A7 NOR bestellt. Die Fahrzeuge sollen von 2026 bis 2028 ausgeliefert werden, teilte KMW nach der Vertragsunterzeichnung mit. Vereinbart sei eine Option auf die Lieferung von weiteren 18 Leopard 2 A7 NOR. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius kündigte in München bei Ankunft zur Sicherheitskonferenz an, zunächst Gespräche mit der Rüstungsindustrie zu führen. Er sprach von »first things first« - das Wichtigste zuerst.

Anderes Geschäftsmodell seit Ende des Kalten Kriegs

KMW ist Hersteller von Waffensystemen wie dem Kampfpanzer Leopard 2 und der Panzerhaubitze 2000. Mit mehr als 4000 Mitarbeitern bezeichnet sich die Firma als Marktführer für hochgeschützte Rad- und Kettenfahrzeuge in Europa. Im Kalten Krieg hat KMW jährlich etwa 300 Leopard-Panzer produziert, also etwa einen pro Arbeitstag. Danach änderte sich das Geschäftsmodell. Zuletzt gab es ein Neubauprogramm in der Größenordnung von 50 Leopard-Panzern pro Jahr. Zudem gibt es ein Upgrade-Programm, bei dem 60 oder 70 Fahrzeuge pro Jahr auf einen moderneren Stand gebracht werden. Etwa 50 weitere Fahrzeuge kommen zur Instandsetzung, also zur Reparatur und Wartung.

»Wenn man erneut in die Produktion von jährlich 300 Fahrzeugen gehen will, haben wir einige Themen, die zu beachten sind. Zum Beispiel sind die Fahrzeuge heute komplexer, denn sie bestehen aus wesentlich mehr Teilen. Außerdem würde wir bestimmte Aufgaben, die wir jetzt im Hauptwerk erledigen, wieder an Tochterunternehmen oder Partnerfirmen abgeben«, sagte Ketzel. »Auch da haben wir genug Luft, um relativ zügig wieder in so eine Produktion einzusteigen, wenn sie denn wirklich gewollt ist.«

Als er selbst in das Unternehmen gekommen sei, habe es im Prinzip eine Bandmontage gegeben, »keine einzige Instandsetzung, keine einzige Umrüstung«, erinnert er sich. Ketzel: »Es fand nur Serienfertigung des Leopard statt. Wir haben die Infrastruktur seitdem allerdings nicht reduziert, sondern wir sind größer geworden. Wir haben drei Hallen dazu gebaut. Das gibt uns Raum zum Atmen.« KMW sei mit Instandsetzungs- und Umrüstaufträge gut ausgelastet.

Infrastruktur reicht aus

Nach Zahlen, die in Europa noch vor dem Ukraine-Krieg erhoben wurden, und mit dem Ersatz der nun abgegebenen Fahrzeugen werde man auf eine Produktion von 500 bis 600 Leopard 2 kommen, so der KMW-Chef. Wenn dies nicht in einem extrem kurzen Zeitraum erforderlich sei, sei dies mit der jetzigen Infrastruktur in Europa und mit den jetzigen Fertigungslinien möglich.

»Wir haben einen Vorlauf von einem Jahr, bevor bei uns Montage und Integration beginnen. Das bedeutet, dass die großen Unterlieferanten, die Motoren herstellen, Optronic, Elektronik oder spezielle Optiken, sofort gefordert sind«, sagte Ketzel. »Manche haben überhaupt gar kein Problem damit, weil sie für viele Systeme ohnehin eine größere Produktionsstraße haben. Manchmal lösen aber auch kleine Themen Kopfschmerzen aus. Das kann zum Beispiel ein Chip sein.«

Für Hochlaufen einer Koproduktion - ob als weitere Produktionslinie im Ausland oder in Deutschland - veranschlagt er ein bis zwei Jahre. Allerdings brauchen auch die Unterlieferanten einen Vorlauf. Ketzel: »Wir können, wenn wir jetzt einen Auftrag haben, sicherstellen, dass die ersten Systeme in zwei Jahren ausgeliefert werden. In drei Jahren geht das dann hoch. Wie steil diese Kurve wird, hängt von den Parametern ab. Wir können vielleicht zwei Linien aufbauen, aber wir können nicht fünf aufbauen.«

Bislang keine Order für Großwaffensysteme

Fast ein Jahr nach der Zeitenwende haben die Bundesregierung und das Beschaffungswesen der Bundeswehr aber noch keine Order für die Großwaffensysteme platziert. Auf die Frage, ob es für das Hochfahren der Produktion schon den Startschuss gibt, antwortet Ketzel: »Nein. Wir sind im Gespräch mit dem (Beschaffungsamt) BAAINBw für viele Verträge. Die sind aus unserer Sicht auf einem sehr guten Weg. Aber da reden wir nicht über dreistellige Stückzahlen.«

Ein klarer politischer Konsens als Entscheidungsgrundlage könne auch eine »bestimmte Zielkonfiguration« sein, was in vier Jahren erreicht werden solle. »Ein prominentes Beispiel ist der Schützenpanzer Puma: Da gab es die klare Aussage, dass im Jahr 2027 eine Division gebraucht wird. Dafür haben wir investiert. Ein gutes Beispiel sind die Briten. Die sagen, sie wollen über zehn Jahre 500 Radpanzer Boxer haben. Das funktioniert.«

Ketzel betont, dass KMW - anders als Automobilbauer oder Computerhersteller - nicht frei am Markt agieren. »Alles unterliegt dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Das ist einfach formuliert. Das Herstellen von Kriegswaffen ist erst mal verboten, und dann gibt es Ausnahmegenehmigungen. Wenn wir mit der Herstellung einer Kriegswaffe beginnen wollen, brauchen wir dafür eine Genehmigung«, sagt er. »Das ist deutsche Gesetzeslage, und die wird sich nicht ändern. Das ist auch vernünftig. Wir sind eine regulierte Industrie.«

»Ad-hoc-Entscheidungen, die gar nicht so schön geplant sind«

Der Panzerbauer, der seine Zentrale in München und mehrere Niederlassungen in Deutschland und Übersee hat, beobachtet den Verlauf der Gefechte in der Ukraine und zieht daraus Schlüsse für die eigenen Konzepte beim Bau der Waffensysteme. »Heute sehen wir vieles - und verstehen es vielleicht sogar, was unser Bild von Gefechtsführung ändern wird«, sagt Ketzel.

So gehe es um Fragen, ob man in der Zukunft noch mit »zeltstadtähnlichen Gefechtsständen« werde leben können oder komplexe Entscheidungsprozesse in Stäben organisiert werden müssten. »Aus der Ukraine spürt man: Das läuft völlig anders, mehr wie ein Netzwerk mit guter Kommunikation. Wir erleben ad-hoc-Entscheidungen, die gar nicht so schön geplant sind, wie wir das mit Karte und Lagebild und Berichtswesen kennen. Unsere Welt und ihre Nervensysteme funktionieren oft andersherum. Die reagieren auf Impulse, auf Informationsblöcke und nicht auf Lagevorträge.«

© dpa-infocom, dpa:230217-99-627699/12