Europäische Waffen für die Verteidigung Europas: Bei der Beschaffung von Rüstungsgütern wie Kampfjets, Drohnen oder Munition muss die EU nach Ansicht der Europäischen Kommission deutlich unabhängiger von Partnern wie den USA werden. Die Brüsseler Behörde stellte eine lang erwartete Strategie zur Stärkung des europäischen Verteidigungssektors vor, die auch eine Antwort auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist.
Die Mitgliedstaaten sollten sich demnach das Ziel setzen, bis 2030 mindestens 50 Prozent der für die Beschaffung von Rüstungsgütern eingeplanten Mittel auf dem europäischen Binnenmarkt auszugeben. Derzeit fließen nach Angaben von EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager knapp 80 Prozent der Mittel in Länder außerhalb der EU und allein 60 Prozent in die USA. »Das ist nicht mehr tragbar, wenn es überhaupt jemals tragbar war.«
Die Wettbewerbskommissarin mahnte an, dass das transatlantische Gleichgewicht richtig gestaltet werden müsse. »Unabhängig von der Wahldynamik in den USA müssen wir mehr Verantwortung für unsere eigene Sicherheit übernehmen«, sagte sie mit Blick auf eine mögliche Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus nach der Präsidentenwahl im November. Eine verbesserte Handlungsfähigkeit werde die EU auch zu einem stärkeren Verbündeten der Nato machen.
Die Absicht, die europäische Rüstungsindustrie zu stärken, ist auch eine Konsequenz aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dieser habe die militärischen und industriellen Defizite der Europäer deutlich gemacht, heißt es bei der Kommission. So solle ein künftiger Fokus darauf liegen, die Produktion von Drohnen auszubauen.
Zusammenarbeit soll belohnt werden
Zu den Vorschlägen der Kommission gehören auch finanzielle Anreize. Wenn EU-Länder sich bei Rüstungsprojekten zusammentun, sollen sie bei den Mehrkosten entlastet werden. Ziel soll es sein, 40 Prozent der Ausrüstung bis 2030 in Zusammenarbeit zu beschaffen. Die Kommission will für die Pläne zunächst 1,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt mobilisieren.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich kürzlich auch dafür ausgesprochen, dass die EU-Staaten Rüstungsgüter gemeinsam einkaufen sollten - genauso, wie die EU etwa bei der Impfstoffbeschaffung während der Pandemie vorgegangen sei. Die Idee hinter den gemeinsamen Impfstoffkäufen war auch, gemeinsam bessere Preise aushandeln zu können.
Profitieren von den Plänen der Kommission soll nicht nur die EU, sondern auch die Ukraine. Sie soll quasi als Mitgliedstaat betrachtet werden, um gemeinsam mit anderen EU-Mitgliedstaaten militärische Ausrüstung zu beschaffen.
Außerdem soll die Europäische Investitionsbank (EIB) dem Vorhaben zufolge Geld für die Herstellung militärischer Güter bereitstellen dürfen. Bislang ist die EU-Förderbank im Bereich Verteidigung nur bei Technologien mit doppeltem Verwendungszweck - sogenanntem Dual-Use - aktiv, die zivil und militärisch verwendet werden können. Darunter fallen beispielsweise Helikopter oder Drohnen.
Erste Unterstützung erhalten die Pläne der Kommission aus der deutschen Rüstungsindustrie. »Eine Bündelung der Rüstungsanstrengungen innerhalb der EU erscheint angesichts der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen nötiger denn je«, sagte Hans Christoph Atzpodien vom Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) der Deutschen Presse-Agentur.
Kritik an den Vorschlägen der EU-Kommission
Über die Vorschläge der Kommission müssen nun die Regierungen der Mitgliedstaaten beraten. Ob sie Unterstützung erhalten, ist noch unklar. Vor allem die damit verbundene Abgrenzung zu den USA könnte auf Kritik stoßen.
Die deutsche Grünen-Europaabgeordnete Hannah Neumann mahnte an, dass es zur Umsetzung der Ziele mehr Geld brauche - auch aus Berlin. »Allen ist klar, dass das Geld kostet. Aber wir dürfen Rüstung nicht gegen Rente oder Klima ausspielen«, sagte sie. Es brauche also zusätzliche Finanzmittel - auch Deutschland müsse hier die Schuldenbremse dringend überdenken.
Die im deutschen Grundgesetz verankerte Schuldenbremse sieht nur eine eng begrenzte Nettokreditaufnahme vor. Seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts wird immer wieder über Änderungen der Schuldenbremse diskutiert.
Die außen- und friedenspolitische Sprecherin der Linken im Europaparlament, Özlem Alev Demirel, kritisierte, die Pläne der Kommission würden den Bedürfnissen der Bevölkerung in Europa nicht gerecht. »Nicht Kriegstüchtigkeit, sondern Friedensfähigkeit, darum müsste es eigentlich gehen.«
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