Russlands Präsident Wladimir Putin hat in seinem Krieg gegen die Ukraine den neutralen Status und eine Entmilitarisierung des Landes als Bedingungen für ein Ende der Kampfhandlungen genannt. »Der Frieden kommt dann, wenn wir unsere Ziele erreicht haben«, sagte der Kremlchef bei seiner großen Pressekonferenz zum Jahresende. Ein Ziel ist demnach der Verzicht der Ukraine auf eine Mitgliedschaft in der Nato. Beobachter sahen dies als Angebot an den Westen mit der Aufforderung an die Ukraine, im Krieg zu kapitulieren.
Die Frage, wann der Krieg endet, gehörte zu den am häufigsten gestellten. Beim vom Staatsfernsehen mehr als vier Stunden lang übertragenen Medienspektakel, bei dem auch Bürger Fragen an den Präsidenten stellen konnten, zeigte sich Putin trotz teils kritischer Fragen selbstzufrieden.
Vor der Präsidentenwahl im März, bei der er zum fünften Mal antreten will, versprach er einmal mehr die Lösung der Probleme des Landes - seien es die niedrigen Renten, die hohen Eierpreise und der vielfach ungeklärte soziale Status von Kriegsheimkehrern oder die vergleichsweise hohen Haftstrafen für Bürger, die sich kaum etwas haben zu Schulden kommen lassen. Und er sprach sich zur Erleichterung vieler Frauen gegen ein Abtreibungsverbot aus.
Signale für Zusammenarbeit - Austausch von Gefangenen?
Auf Fragen westlicher Journalisten, die schon lange keinen Zugang mehr zu solchen Veranstaltungen hatten, zeigte sich der 71-Jährige demonstrativ freundlich - und signalisierte Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Moskau sei etwa bereit, die wegen Spionage inhaftierten US-Amerikaner Evan Gershkovich und Paul Whelan gegen russische Gefangene auszutauschen. »Diese Vereinbarungen müssen für beide Seiten akzeptabel sein«, sagte Putin.
Der Korrespondent des »Wall Street Journal« Gershkovich sitzt seit März in U-Haft. Die Spionagevorwürfe gegen den 32-Jährigen weisen die US-Regierung und die Zeitung zurück. In der Vergangenheit hat Russland schon mehrfach auf diese Art Schwerverbrecher freigepresst.
Gleich mehrfach betonte Putin, dass der Westen im Zuge des Krieges den Kontakt zu Russland abgebrochen habe und sich damit selbst schade. Er selbst wies hingegen auf die von vielen auch in den USA und in der EU so nicht erwarteten soliden Wirtschaftsdaten der Rohstoffmacht hin. Russland habe seine eigene Souveränität gestärkt ungeachtet des Drucks aus dem Westen.
Putin verdankt Wachstum der Kriegswirtschaft
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde in diesem Jahr um 3,5 Prozent steigen, sagte Putin. Zwar räumte er ein, dass die Inflation mit einem Wert zwischen 7,5 und 8 Prozent über dem selbst gesteckten Ziel liege. Doch gab sich der Kremlchef optimistisch, dass die Preissteigerungen im nächsten Jahr geringer ausfallen würden.
Nach Angaben Putins sind auch die Reallöhne trotz der Inflation um acht Prozent gestiegen. Die russische Volkswirtschaft habe eine unerwartet hohe Widerstandskraft bewiesen. Er erwähnte nicht, dass das Wachstum besonders auf die Kriegswirtschaft und Rüstungsproduktion zurückgeht. Experten betonten immer wieder, dass es sich nicht um natürliches oder gesundes Wachstum handele.
Kremlchef will Krieg vor allem mit Freiwilligen gewinnen
Den Krieg gegen die Ukraine will Putin ohne eine von vielen Russen befürchtete neue Teilmobilmachung gewinnen. Die Zahl der Freiwilligen im Krieg werde bis Jahresende bei einer halben Million liegen, täglich kämen 1500 hinzu. Putin lobte indes, dass die nach der umstrittenen Teilmobilmachung im vergangenen Jahr eingezogenen 300.000 Soldaten hervorragende Ergebnisse hervorbrächten. »Sie kämpfen ausgezeichnet.«
Putin zufolge liegt die Gesamtzahl der russischen Soldaten im Kriegsgebiet bei 617.000. Zur Zahl der Gefallenen sagte er nichts. Die Ukraine gibt die Zahl der russischen Verluste - Tote und Verletzte - mit mehr als 340.000 an. Auch am Donnerstag ließ Putin die Ukraine weiter bombardieren.
Putin hielt nach einer kriegsbedingten Pause im Vorjahr erstmals wieder eine große Pressekonferenz ab. Die Fragerunde für Journalisten wurde als Medienspektakel des Staatsfernsehens mit der TV-Show »Der direkte Draht«, bei der Bürger ihre Probleme schildern können, zur Sendung »Ergebnisse des Jahres« verknüpft.
Millionen Fragen an Putin - aber nur wenige Antworten
Es war das erste Mal seit Beginn der Invasion am 24. Februar 2022, dass er sich in einem solchen TV-Format äußerte. Dabei gab es auch immer wieder Kritik, die Putin in den meisten Fällen weglächelte - oder Witze darüber machte. Zu lesen war in einer Frage, warum Putins Realität nicht mit der von den Russen erlebten Wirklichkeit übereinstimme.
Die von den Staatsmedien inszenierte Fragerunde mit handverlesenen Journalisten und Bürgern gilt auch deshalb als besonders bequem für Putin, weil kaum Nachfragen zugelassen werden - und der Präsident ohnehin immer das letzte Wort hat. Ein junger Reporter meinte immerhin, dass er das Land gar nicht anders kenne als mit Putin an der Macht. Eine Rentnerin, die um die Lösung des Problems mit den teuren Hühnereiern bat, nannte ihn »mein liebster Präsident«. Putin erklärte den Preissprung mit der hohen Nachfrage bei geringerem Angebot. Es solle aber bald mehr Eier geben.
Was die Experten sagen
Die Politologin Tatjana Stanowaja sprach von einer »seltsamen« Show, weil Putin sonst den Streit mit allem liebe, den Machtapparat verteidige und Probleme mit technischen Gründen abtue. Das Spektakel zeige, dass Putin sich sicher fühle. »Er glaubt, dass das Volk an seiner Seite ist«, sagte sie. Deshalb habe Putin diesmal - anders als sonst, wenn er etwa Geldgeschenke zum Jahresende verteilt - »sehr wenig« versprochen.
Putin habe auf Ruhe und Friedensliebe gesetzt und auf Aggression verzichtet - als Gegenentwurf zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der um Hilfe bitte, meinte der Moskauer Experte Alexander Kynew. Mit Blick auf die Präsidentenwahl sei das Vorgehen des Kreml logisch, weil Putin zeigen wolle, dass alles normal laufe und es keinen Grund gebe für einen radikalen Kurswechsel. Die Botschaft sei gewesen, dass in Russland alles unter Kontrolle sei.
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