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Putin lässt sich als Beschützer Russlands beklatschen

Seit fast einem Jahr führt Russland Krieg gegen die Ukraine. In seiner lange erwarteten Rede an die Nation zeigt sich Kremlchef Putin dennoch als großer Kümmerer und Hüter der russischen Kultur.

Wladimir Putin
Russlands Präsident Wladimir Putin hält kurz vor dem Jahrestag des von ihm befohlenen Kriegs gegen die Ukraine eine Rede zur Lage der Nation. Foto: Sergei Karpukhin
Russlands Präsident Wladimir Putin hält kurz vor dem Jahrestag des von ihm befohlenen Kriegs gegen die Ukraine eine Rede zur Lage der Nation.
Foto: Sergei Karpukhin

Fast ein Jahr nach dem von ihm angeordneten Einmarsch in die Ukraine hat sich Kremlchef Wladimir Putin in der Heimat als Beschützer des russischen Volkes inszeniert. Einmal mehr gab er den westlichen Staaten, die der angegriffenen Ukraine unterstützend zur Seite stehen, die Schuld an der Eskalation im Nachbarland: »Sie haben den Krieg losgetreten«, sagte Putin am Dienstag in seiner Rede zur Lage der Nation in Moskau vor Hunderten Anwesenden.

Russland wolle die Kämpfe durch seine »militärische Spezial-Operation« beenden, behauptete Putin. Die politische Führung in Kiew beschimpfte der 70-Jährige einmal mehr als »Neonazi-Regime«. Zum Ende der mehr als anderthalbstündigen und mit Spannung erwarteten Rede kündigte Putin an, das letzte große Atomwaffenabkommen mit den USA auszusetzen.

Der Kremlchef sprach im Veranstaltungszentrum Gostiny Dwor vor Abgeordneten des russischen Parlaments, Ministern sowie ausgewählten Vertretern aus Kunst, Religion und Militär. Immer wieder zeigte das Staatsfernsehen Menschen im Publikum, die das Wort »Volksfront« auf ihren Pullovern gedruckt hatten. Manche schauten zwischenzeitlich gelangweilt auf das Handy - aber dann schwenkte die Kamera auch schon schnell weiter zu jenen, die ergriffen vor sich hin nickten.

Es war die insgesamt 18. Rede zur Lage der Nation für Putin in seinen mehr als 20 Jahren an der Macht. Die vorherige Ansprache war bereits knapp zwei Jahre her und fand im April 2021 statt. Im vergangenen Jahr gab es keine; der Kreml hatte dies mit einer sehr hohen »Dynamik der Ereignisse« erklärt.

Große Erfolge bleiben dennoch aus

Doch auch jetzt - fast genau ein Jahr nach Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 - kann Putin keine großen Erfolge in der Ukraine vorweisen: Die Kämpfe um Bachmut im Osten etwa gelten als verlustreich - die Ukrainer halten dort weiter die Stellung. Von den völkerrechtswidrig annektierten Gebieten Saporischschja, Cherson, Luhansk und Donezk, die Moskau im vergangenen Herbst feierlich zu neuen Subjekten Russlands erklärte, sind große Teil nicht erobert.

Und so richtete Putin den Blick in seiner Rede zunächst auch nach innen: Veteranen und Angehörigen getöteter Soldaten stellte er mehr finanzielle Unterstützung in Aussicht. Ein eigener Hilfsfonds solle eingerichtet werden, die Familie jedes Gefallenen solle einen Sozialarbeiter an die Seite gestellt bekommen.

Außerdem müsse die russische Armee modernisiert werden, führte Putin aus - »unter Berücksichtigung unserer gesammelten Erfahrungen«. Internationale Beobachter attestieren den russischen Streitkräften immer wieder gravierende Probleme bei der militärischen Ausrüstung.

Probleme kaschiert

Westliche Sanktionen tat Putin als weitgehend wirkungslos ab. Gravierende Probleme - etwa der Automobil- und Flugbranche - erwähnte er nicht. Selbst der russische Bankensektor habe im vergangenen Jahr einen Gewinn verbucht, meinte der Präsident. »Ja, er ist nicht ganz so groß«, räumte Putin ein - und kaschierte damit, dass das Plus von Russlands Banken im ersten Kriegsjahr um ganze 90 Prozent eingebrochen war.

Putin kündigte auch eine Anhebung des Mindestlohns an. Den annektierten ukrainischen Gebieten, die in großen Teilen durch seinen Krieg überhaupt erst zerstört wurden, stellte er Wiederaufbau und Arbeitsplätze in Aussicht. Die Zuhörer im Saal erhoben sich von ihren Plätzen und klatschten.

Und dann, zu einem späteren Zeitpunkt, machte der Kremlchef seine eigentliche Ankündigung: Er setzt den letzten großen atomaren Abrüstungsvertrag mit den USA aus. Das sei jedoch noch kein Ausstieg, betonte er.

Auch Kritik aus Russland

»Putin hat seine Bedeutungslosigkeit und Verwirrtheit demonstriert«, teilte der Berater im ukrainischen Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, mit. Auch aus Russland kam Kritik. Die oppositionelle Vereinigung »Feministischer Anti-Kriegs-Widerstand« etwa zeigte sich zwar erleichtert, dass Putin weder eine neue Mobilisierungswelle verkündet noch offiziell das Kriegsrecht verhängt hatte. Zugleich bedauerte sie, dass die von Putin verkündeten Neuigkeiten »wie immer schlecht« seien.

Unterstützer des inhaftierten Kreml-Gegners, Alexej Nawalny, wiesen in sozialen Netzwerken zudem darauf hin, dass ausgerechnet während Putins Ansprache mehrere ukrainische Zivilisten starben, als Russlands Armee die seit einigen Monaten wieder unter ukrainischer Kontrolle stehende Großstadt Cherson beschoss.

Putin aber an seinem Rednerpult im Moskauer Festsaal beschwor das Bild eines stolzen Russlands, das zu Unrecht zum Opfer US-gelenkter Weltpolitik geworden sei. »Unsere Zivilisation ist das Wichtigste. Sie wurde uns von unseren Vorfahren übergeben, und wir müssen sie für unsere Nachfahren bewahren«, meinte er zum Abschluss seiner Rede. »Die Wahrheit ist auf unserer Seite.« Wieder klatscht die Menge. Dann setzt die russische Nationalhymne ein.

© dpa-infocom, dpa:230221-99-677145/16