Die Schweizer Pläne für ein Atommüll-Endlager und eine Verpackungsanlage nahe der Grenze haben in Baden-Württemberg teils Protest und Sorgen ausgelöst. Deutsche Städte und Gemeinden am Hochrhein kritisierten den geplanten Bau einer Brennelemente-Verpackungsanlage am Standort Würenlingen rund 15 Kilometer südlich der deutschen Gemeinde Waldshut-Tiengen. Das stelle für 67.000 Menschen eine große Belastung dar, teilten mehrere Bürgermeister am Sonntag gemeinsam mit.
»Wir nehmen die Standortvorschläge zur Kenntnis und werden sie im Austausch mit unseren Schweizer Nachbarn prüfen«, ließ das Staatsministerium in Stuttgart über eine Sprecherin wissen. Es sei zunächst nur ein Zwischenschritt in einem noch nicht abgeschlossenen Prozess. »So müssen etwa Bundesrat und Bundesversammlung den Vorschlägen noch zustimmen.«
Das eigentliche Endlager soll etwas weiter westlich in Nördlich Lägern in der Nähe der deutschen Gemeinde Hohentengen entstehen. Die radioaktiven Abfälle sollen dort in Hunderten Metern Tiefe in Opalinuston eingebettet werden. Vor einigen Jahren galt der Standort noch als zweite Wahl. »(Die Schweizer) müssen sehr gut begründen, warum ein zurückgestellter Standort plötzlich zum präferierten Standort wird«, sagte der Bürgermeister von Hohentengen, Martin Benz, der Deutschen Presse-Agentur. Den Bewohnern sei klar, dass der radioaktive Müll vorhanden ist und entsorgt werden muss. Auch sie seien für die Lagerung am sichersten Ort. »Aber diese Fragen müssen beantwortet werden: Was gibt es für Störfallszenarien, und wie ist man darauf vorbereitet?«
Den Standort hatte die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) am Samstag mitgeteilt. Genauer erläutern wollte sie die Entscheidung am Montag. Das Bundesamt für Energie in Bern teilte mit, dass die Brennelement-Verpackungsanlage in Würenlingen entstehen soll. Dort werden radioaktive Stoffe schon zwischengelagert. Am 15. September ist eine Informationsveranstaltung in Hohentengen geplant, wo die Nagra ihre Entscheidung erklären will.
Die Bürgermeister am Hochrhein stellten fest, dass bei Atomtransporten zum Endlager bei einer Havarie die Grundwasserströme der Aare und auch am Rhein und damit die Trinkwasserquellen gefährdet seien. »Ebenso wird ein immenser Imageschaden für den Tourismus befürchtet«, schreiben sie. »Die Begründung der Nagra für den Standort Würenlingen ist für die Städte und Gemeinden deshalb nur schwer nachvollziehbar.«
»Der Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor radioaktiver Strahlung muss gewährleistet sein, insbesondere aber auch der Grundwasserschutz«, teilte Landes-Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) am Sonntag in Stuttgart mit. Die Bevölkerung leiste einen großen Beitrag zur Endlagerung des Atommülls. Das müsse bei Kompensationszahlungen berücksichtigt werden.
Martin Steinebrunner, der die Deutsche Koordinationsstelle Schweizer Tiefenlager (DKST) beim Regionalverband Hochrhein-Bodensee vertritt, sagte der dpa: »Bei der Aushandlung von Kompensationszahlungen wollen wir angemessen beteiligt werden, sowohl bei den Verhandlungen als auch im Ergebnis. Manche deutschen Gemeinden liegen näher am Lager als Schweizer Gemeinden, die berücksichtigt werden sollen.« Nun müssten die geplanten Oberflächenbauten konkretisiert werden. Die zunächst geplanten Bauten liegen nur etwa 2,3 Kilometer südlich der Landesgrenze.
Die grenznahe Lage »stellt sowohl in der Errichtungsphase als auch beim Betrieb des Endlagers für diese und umliegende Gemeinden eine große Belastung dar«, sagte Christian Kühn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium und Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg, auf Anfrage. »Ich setze mich bei der Schweiz dafür ein, dass die bisherige gute Einbindung der deutschen Nachbarn fortgesetzt wird.«
In Deutschland steht die Entscheidung für einen Endlager-Standort für hoch radioaktiven Atommüll frühestens 2031 an. Die Brennelemente landen derzeit in Zwischenlagern, die sich meist an den Standorten der Atomkraftwerke befinden. Ein Endlager für weniger stark radioaktiven Abfall soll 2027 im Schacht Konrad im niedersächsischen Salzgitter in Betrieb gehen.
»Man muss anerkennen, dass die Schweiz ein rationales Verfahren hat und die Betroffenen miteinbezieht«, sagte Steinebrunner. »Ob wir das in Deutschland ähnlich gut hinbekämen, wenn unser Endlagerstandort in Grenznähe wäre, muss sich noch zeigen.«
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