Der Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat den Vormarsch seiner Einheiten auf die russische Hauptstadt Moskau nach eigenen Angaben gestoppt.
»Unsere Kolonnen drehen um und gehen in die entgegengesetzte Richtung in die Feldlager zurück«, sagte er in einer von seinem Pressedienst auf Telegram veröffentlichten Sprachnachricht. Bislang sei »nicht ein Tropfen Blut unserer Kämpfer« vergossen worden, sagte Prigoschin. »Jetzt ist der Moment gekommen, wo Blut vergossen werden könnte.« Deshalb sei es Zeit, die Kolonnen umdrehen zu lassen, begründete er den Rückzug.
Zuvor hatte der Pressedienst des belarussischen Machthabers, Alexander Lukaschenko, mitgeteilt, dass dieser Prigoschin überzeugt habe, aufzugeben. »Prigoschin hat den Vorschlag von Belarus' Präsident Alexander Lukaschenko zum Anhalten seiner Bewaffneten aus der Wagner-Truppe und weiteren Schritten zur Deeskalation angenommen«, heißt es in einer Pressemitteilung des Präsidialamts der staatlichen Nachrichtenagentur Belta zufolge. Lukaschenko habe sich in Absprache mit Russlands Präsident Wladimir Putin als Vermittler eingeschaltet. Prigoschin erwähnte Lukaschenko in seiner Sprachnachricht nicht ausdrücklich.
Es war zunächst nicht klar, ob Prigoschin Zugeständnisse gemacht oder in Aussicht gestellt wurden, um den Vormarsch auf Moskau zu stoppen.
Machtkampf war in der Nacht eskaliert
Der seit Monaten schwelende Machtkampf zwischen Prigoschin und der russischen Armeeführung war in der Nacht eskaliert. Der 62-Jährige beschuldigte Verteidigungsminister Sergej Schoigu, den Befehl zu einem Angriff auf ein Militärlager der Wagner-Truppe gegeben zu haben. Die Einheit hat in Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine an der Seite regulärer russischer Truppen gekämpft und eine wichtige Rolle bei der Eroberung der Stadt Bachmut im Gebiet Donezk gespielt. Allerdings gab es seit Monaten Streit um Kompetenzen und um Munitionsnachschub.
Nach dem angeblichen Angriff auf das Wagner-Lager, den das Verteidigungsministerium in Moskau prompt dementierte, kündigte Prigoschin einen »Marsch der Gerechtigkeit« an, um die Verantwortlichen zu bestrafen. Am Samstag besetzten seine Truppen zunächst Militärobjekte in der südrussischen Millionenstadt Rostow am Don. Später wurde bekannt, dass sich weitere Einheiten Richtung Moskau in Marsch gesetzt hatten. Prigoschins Angaben nach befanden sich die Spitzen zuletzt nur noch rund 200 Kilometer von der russischen Hauptstadt entfernt.
Aus dem Kreml gab es zunächst keinen Reaktion zum angekündigten Ende des Aufstands. Am Morgen noch hatte Putin seinen Ex-Vertrauten Prigoschin als »Verräter« bezeichnet. Die Behörden ermitteln bereits seit Freitagabend gegen den mit Staatsaufträgen reich gewordenen Oligarchen und drohten ihm mit einer Haftstrafe von 12 bis 20 Jahren. Ob die Strafverfahren nach der Ankündigung Prigoschins, seine Truppen zurückzuziehen, eingestellt werden, ist bislang unklar.
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