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»Politik redet, aber immer mehr Menschen hören nicht hin«

Gregor Gysi ist Politiker, Anwalt und Redner. Sein rhetorisches Talent hat er in Buchform gegossen und den Blick auf ein Problem gelenkt: Ist Politik nicht verständlich, leidet die Demokratie.

Gregor Gysi
Gregor Gysi ist auch Anwalt. Foto: Kay Nietfeld
Gregor Gysi ist auch Anwalt.
Foto: Kay Nietfeld

Wenn Bürger bei politischen Entscheidungen nur Bahnhof verstehen und sich im schlimmsten Fall Hass gegen Politiker aufbaut, dann läuft etwas schief in der Kommunikation.

Warum reden Politikerinnen und Politiker, wie sie reden? Warum kommt die Botschaft nicht an? Warum knistert es so oft im Funkkontakt zwischen dem Raumschiff Berlin und den Bodenstationen »draußen im Lande«? Der Berliner Linken-Politiker Gregor Gysi versucht sich an Antworten in seinem neuen Buch »Was Politiker nicht sagen«, das an diesem Donnerstag erscheint.

»Politik redet und redet, aber immer mehr Menschen hören nicht hin«, schreibt der 74-Jährige Anwalt, der 1989 während des Umbruchs in der DDR in die Politik ging, letzter Vorsitzender der SED wurde und später Chef der PDS und der Linksfraktion war. »Politik beschwört, aber immer mehr Menschen wenden sich ab. Politik schlägt vor, aber immer mehr Menschen schlagen ihre Angebote aus und schlagen sich auf andere, auch dunklere politische Seiten. Politik betont ihre Ehrlichkeit, aber immer mehr Menschen sind ungläubig und misstrauisch.«

Damit liegen die Bürgerinnen und Bürger aus Gysis Sicht auch nicht völlig falsch, denn er vertritt die These: Politikerinnen und Politiker könnten nur bis zu einem gewissen Grad Klartext reden, aus Angst vor Abwahl. »Wahrheiten sind oft unbequem«, schreibt der Bundestagsabgeordnete. »Die allgemeine Stimmung ist gereizt. Wer möchte da beim Wahlvolk Groll auslösen?« Daraus folge: »Der Drang nach Mehrheiten führt zu gewollten oder unfreiwilligen, bewussten oder unbewussten Vorkehrungen von Politikerinnen und Politikern, Menschen - speziell im Vorfeld von Wahlen - beim Ringen um deren Stimme bloß nicht zu verprellen«.

Vertrauen in den Staat

Das Thema ist nicht neu, seit Jahren wachsen Sorgen über die Beziehungskrise zwischen dem Volk und seinen Vertretern in der repräsentativen Demokratie. Zuletzt ergab eine im Dezember veröffentlichte Umfrage der Körber-Stiftung, dass nur jede und jeder zweite Befragte Vertrauen in die Demokratie hat - 30 Prozent hatten wenig bis gar keines. Nur 32 Prozent der Teilnehmer äußerten Vertrauen in Bundestag und Bundesregierung.

»Das dramatisch gesunkene Vertrauen in Staat und Wissenschaft gefährdet den Zusammenhalt«, erklärte die Körber-Stiftung damals. »Es braucht eine neue Bürgerorientierung der Politik: Entscheidungen müssen erklärt, Dialoge auf Augenhöhe geführt und mehr Mitwirkung ermöglicht werden.«

Das sieht Gysi genauso. Wahltaktik und das Verschleiern unangenehmer Wahrheiten sind nach seiner Wahrnehmung nur ein Teil des Problems. Dazu kämen Weltfremdheit vieler Politiker, die zu wenig Berührung mit der Realität ihrer Wähler hätten; die fehlende Übersetzung komplexer Zusammenhänge aus dem parlamentarischen Reich der Beschlussvorlagen und Wortungetüme; aber auch Unvermögen einiger Politiker, sich klar, lebhaft und überzeugend auszudrücken. Dann wäre da noch, auch das nicht ganz neu, die Verflachung der Debatte durch Talkshows und soziale Netzwerke. »Politik ist keine Unterhaltungssendung«, stellt Gysi fest.

Doch lässt er in seinem Buch, das er selbst als Plauderei bezeichnet, sein eigenes Showtalent durchblicken. In Anekdoten erzählt der einstige gelernte Rinderzüchter, wie er selbst als Rhetoriker punktet: zuspitzen, verkürzen, schlagfähig sein, offen bleiben, das Publikum im Auge behalten. Das Buch hat damit auch etwas von biografischem Rückblick und Ratgeber, mehr noch als von ernster Tiefenanalyse. Es liest sich leicht, entsprechend Gysis Motto: »Ich rede, und die anderen schlafen - das war nie mein Ziel.«

© dpa-infocom, dpa:220224-99-260689/2