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»Peinlich«: Keine Debatte nach Selenskyj-Rede im Bundestag

An Tag 22 des russischen Kriegs gegen die Ukraine wendet sich Präsident Selenskyj in einem Appell direkt an den Bundestag. Der anschließende Umgang mit Selenskyjs Auftritt löst eine Kontroverse aus.

Bundestag
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bekommt Applaus von der Bundesregierung. Foto: Michael Kappeler
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bekommt Applaus von der Bundesregierung.
Foto: Michael Kappeler

Drei Wochen nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem leidenschaftlichen Appell mehr Hilfe von Deutschland gefordert.

Wieder gehe eine Mauer durch Europa, sagte Selenskyj am Donnerstag laut Simultanübersetzung in einer Videoansprache an den Bundestag. Er richtete sich direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): »Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, zerstören Sie die diese Mauer. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die Deutschland verdient.« In den umkämpften Gebieten warteten immer noch Tausende auf die Chance zur Flucht. Vor allem in Mariupol sei die Not groß.

Referenz zu Ronald Reagans Mauer-Appell

Bei der Metapher der Mauer bezog sich Selenskyj auf den früheren US-Präsidenten Ronald Reagan. Dieser hatte 1987 in West-Berlin an die Sowjetunion appelliert, die Berliner Mauer niederzureißen. Selenskyj betonte, in seinem Land seien nun Zivilisten und Soldaten wahllos Ziel russischer Angriffe. Laut Übersetzung sagte er: »Russland bombardiert unsere Städte und zerstört alles, was in der Ukraine da ist. Das sind Wohnhäuser, Krankenhäuser, Schulen, Kirchen, alles. Mit Raketen, mit Luftbomben, mit Artillerie. In drei Wochen sind sehr viele Ukrainer gestorben, Tausende. Die Besatzer haben 108 Kinder getötet, mitten in Europa, bei uns im Jahre 2022.«

Scholz würdigte die Videoansprache Selenskyjs und stellte ihm weitere Unterstützung in Aussicht. Es seien »eindrucksvolle Worte« gewesen, sagte Scholz und versicherte: »Wir stehen an der Seite der Ukraine.« Er verwies bei einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf die laufende Unterstützung für die Ukraine, zu der auch Waffenlieferungen gehören. »Deutschland leistet hier seinen Beitrag und wird das weiter tun.« Konkreter wurde der Kanzler nicht. Er bekräftigte allerdings auch: »Die Nato wird nicht militärisch in diesen Krieg eingreifen.«

Streit um abgelehnte Debatte

Streit gab es um eine von der Union beantragte und von der Ampel-Koalition abgelehnte Debatte über den Ukraine-Krieg nach der Rede Selenskyjs. »Das war heute der würdeloseste Moment im Bundestag, den ich je erlebt habe«, schrieb der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen auf Twitter. Der CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz nannte die Ablehnung »völlig unpassend« und der frühere Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger »peinlich«.

Führende Politiker von SPD, Grünen und FDP verteidigten ihre Haltung. »Wir, die Ampel-Koalition, sind überzeugt, dass die Worte des ukrainischen Präsidenten für sich stehen. Sie haben es verdient, für sich wahrgenommen zu werden«, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast.

»Das Parlament hat heute wahrlich kein gutes Bild abgegeben. Diese Kritik müssen wir uns alle anziehen«, sagte die Vorsitzende des verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), der Deutschen Presse-Agentur. Parteipolemik von Merz habe dem ganzen die Krone aufgesetzt. Der Antrag von CDU/CSU zur Debatte über den Krieg wurde nur von den Abgeordneten der Linken und der AfD unterstützt. Die drei Koalitionsfraktionen stimmten dagegen.

Göring-Eckardt zeigt sich entsetzt

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann ist nach eigenen Angaben "sehr unglücklich" über die Vorgänge im Bundestag. Die eindringliche Ansprache des ukrainischen Präsidenten hat uns alle sehr bewegt", sagte Haßelmann der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Die darauf folgende Geschäftsordnungsdebatte war dem in keiner Weise angemessen. Ich bedaure das sehr." Die Fraktionen im Bundestag hätten kein gutes Bild abgegeben. "Wir alle sollten den heutigen Tag selbstkritisch bewerten und dafür Sorge tragen, dass sich ein solcher Vorgang nicht wiederholt."

Die stellvertretende Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) war nach der Rede Selenskyjs ohne Unterbrechung zur Tagesordnung übergegangen und hatte zunächst zwei Abgeordneten zum Geburtstag gratuliert - begleitet von Zwischenrufen aus der Unionsfraktion wie »unwürdig«. Nach einer Geschäftsordnungsdebatte über den Antrag der CDU/CSU schloss sich dann die Debatte über die Impfpflicht an.

© dpa-infocom, dpa:220317-99-562733/2