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Orban blockiert bei EU-Gipfel Ukraine-Beschluss

Muss die EU die Ukraine wegen eines einzelnen Regierungschefs bitter enttäuschen? Zu Beginn eines zweitägigen Gipfels in Brüssel steht dieses Szenario im Raum.

EU-Gipfel - Viktor Orban
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban beim EU-Gipfel in Brüssel. Foto: Virginia Mayo/DPA
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban beim EU-Gipfel in Brüssel.
Foto: Virginia Mayo/DPA

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat beim EU-Gipfel in Brüssel eine klare Entscheidung für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine blockiert. Offen blieb allerdings zunächst, ob zum Abschluss des Spitzentreffens nicht doch ein positives Signal in Richtung Kiew gesendet werden kann.

Der letzte reguläre Gipfel dieses Jahres soll erst an diesem Freitag enden. Teilnehmer schlossen auch nicht aus, dass er sogar bis ins Wochenende hinein dauern kann.

Der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo sagte mit Blick auf die schwierigen Gespräche, er habe vorsichtshalber viele Hemden eingepackt. Der Gipfel werde so lange dauern, wie es notwendig sei.

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte bei seiner Ankunft zum Gipfel, es sei wichtig, den Beitrittsprozess voranzubringen und ein klares Zeichen der Unterstützung an Kiew zu senden. Zudem müsse der russische Präsident Wladimir Putin wissen, »dass er nicht darauf setzen kann, dass die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten in der Unterstützung der Ukraine nachlassen«.

Putin verwies fast zur selben Zeit in Moskau darauf, dass die Unterstützung des Westens bereits anfange zu bröckeln. Die Ukraine produziere nichts mehr selbst und lebe von dem, was der Westen derzeit noch kostenlos liefere, sagte er. »Aber die Geschenke gehen zur Neige«, sagte Putin auf seiner Jahrespressekonferenz.

Kompromiss für Orban?

Als ein möglicher Kompromiss im Streit um die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine galt am Donnerstag, den Start dieses Schritts zwar grundsätzlich zu beschließen, gleichzeitig aber zu vereinbaren, eine weitere notwendige Entscheidung für das Ansetzen der ersten Verhandlungsrunde frühestens beim nächsten regulären EU-Gipfel im kommenden März zu treffen. In diesem Szenario wäre es dann an den Staats- und Regierungschefs zu bestätigen, dass die Ukraine wirklich alle notwendigen Reformauflagen erfüllt hat.

Der ursprüngliche Plan von EU-Ratspräsident Charles Michel hatte eigentlich vorgesehen, weitere Entscheidungen auf Ministerebene zu treffen.

Orban sagte dazu beim Gipfel, man habe sieben Vorbedingungen für weitere Schritte im Beitrittsprozess gesetzt, und selbst nach der Analyse der EU-Kommission seien drei davon zuletzt nicht erfüllt gewesen. Deswegen gebe es derzeit nichts zu diskutieren.

Eingefrorene Gelder sollen kein Thema sein

Vorwürfe, dass er mit der Blockade die wegen Rechtsstaatsdefiziten eingefrorenen EU-Mittel für sein Land freipressen wolle, wies Orban kategorisch zurück. »Es geht hier nicht um einen Handel. Es geht hier nicht um einen Deal«, sagte er. Ungarn stehe für Prinzipien.

Derzeit sind noch rund 21 Milliarden Euro an EU-Geldern für Ungarn eingefroren. Bis kurz vor dem Gipfel waren es sogar mehr als 30 Milliarden Euro gewesen. Am Mittwoch hatte die EU-Kommission allerdings mitgeteilt, wegen vollzogener Justizreformen rund zehn Milliarden Euro freizugeben.

Problematisch ist die Position von Orban beim Gipfel vor allem deswegen, weil er sich mit Blick auf die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine auf einen Gipfelbeschluss aus dem Juni 2022 stützen konnte. In diesem heißt es, über weitere Schritte im Beitrittsprozess solle erst entschieden werden, wenn »alle diese Bedingungen vollständig erfüllt sind«.

Selenskyj erinnert an Menschen in Schützengräben

Befürworter einer positiven Entscheidung verwiesen beim Gipfel hingegen darauf, dass der Start von EU-Beitrittsverhandlungen vor allem ein symbolischer Schritt sein soll. »Es wird ohnehin viele Jahre dauern, bis der Beitritt stattfinden wird«, sagte beispielsweise der scheidende niederländische Regierungschef Mark Rutte. Es gehe darum, den nächsten Schritt für ein Land zu ermöglichen, das während eines Krieges, den es auch für die EU führe, extrem hart an Reformen arbeite.

Ähnlich äußerte sich auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der zu Beginn des Gipfels per Videokonferenz zu den Beratungen beim EU-Gipfel zugeschaltet wurde. »Es geht nicht darum, was Politiker brauchen. Es geht darum, was die Menschen brauchen«, sagte Selenskyj laut dem von einer EU-Sprecherin veröffentlichten Redetext.

Das betreffe die Menschen in den Schützengräben, aber auch diejenigen, die in der Ukraine Leben retteten oder dazu beitrügen, dass Kinder trotz des russischen Angriffskriegs lernen könnten. Eine positive Entscheidung sei aber auch für die EU-Bürgerinnen und -bürger wichtig, die daran glaubten, dass Europa nicht in die »alten Zeiten endloser fruchtloser Streitigkeiten zwischen den Hauptstädten« zurückfallen solle.

Deutschland will Haushaltsaufstockung begrenzen

Ein weiteres schwieriges Thema bei dem EU-Gipfel waren Vorschläge der EU-Kommission für eine Aufstockung des langfristigen EU-Haushalts. Dabei machten Deutschland und andere Nettozahler deutlich, dass sie eigentlich nur für notwendige neue Finanzhilfen für die Ukraine große Summen an zusätzlichen Mittel bereitstellen wollen und nicht zum Beispiel für die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und die EU-Migrationspolitik.

Für wahrscheinlich wurde am Donnerstagabend gehalten, dass es bis zum Gipfelende einen Kompromiss gibt, der für die kommenden vier Jahre etwa 17 Milliarden Euro an Zuschüssen und 33 Milliarden Euro an Krediten für die Ukraine vorsieht. Auf Wunsch von Ländern wie Italien könnte es einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag für die Wettbewerbsförderung und Migrationspolitik geben.

Zumindest Orban zeigte sich zunächst allerdings nicht offen für Zugeständnisse. Auf die Frage nach Spielraum für Kompromisse sagte er: »Die Ungarn sind genetisch nicht empfindlich für Druck, das wird unseren Standpunkt nicht beeinflussen.«

© dpa-infocom, dpa:231213-99-286945/7