Tel Aviv (dpa) - Der Druck auf Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu steigt: Nach seinem Antrag auf Immunität gegen Strafverfolgung dringt die Opposition auf eine Entscheidung noch vor der Parlamentswahl am 2. März.
Die israelischen Bürger hätten »ein Recht darauf, vorher zu wissen, ob einer der Kandidaten für den Posten des Regierungschefs vom Parlament Immunität gewährt bekommt« oder sich drei Korruptionsanklagen stellen müsse, schrieb die Oppositionspolitikerin Revital Swid in einem Brief am Mittwochabend.
Nach derzeitigem Stand hat Netanjahu keine Mehrheit im Parlament, um Schutz vor Strafverfolgung zu erhalten. Sollte die Knesset Netanjahu Immunität verweigern, müsste sich der Regierungschef einem Prozess stellen. Allerdings ist fraglich, ob das Parlament bis zur Wahl noch genug Zeit hätte, um über die Immunität zu entscheiden. Netanjahus Gegner werfen ihm vor, er strebe nach der Wahl die Bildung einer rechts-religiösen Regierung an, die ihm Immunität gewährleisten werde.
Netanjahu hatte am Mittwoch beim Parlament Immunität beantragt, um sich angesichts einer Korruptionsanklage vor Strafverfolgung zu schützen. Unter normalen Umständen müsste ein parlamentarischer Ausschuss in der Immunitätsfrage entscheiden und danach eine Knesset-Abstimmung stattfinden. In Israel regiert jedoch seit rund einem Jahr ein Übergangskabinett mit Netanjahu an der Spitze und das Parlament ist nur eingeschränkt handlungsfähig. Nach zwei Parlamentswahlen gelang 2019 wegen einer Pattsituation keine neue Regierungsbildung.
Der 70 Jahre alte Regierungschef begründete seinen Antrag unter anderem damit, dass die Anklage voreingenommen sei und dass eine Strafverfolgung gegen ihn aktuell die Arbeit des Parlaments und der gewählten Volksvertreter stark beschädigen würde. Netanjahu betonte, sein Antrag beziehe sich nur auf diese Legislaturperiode. Er verlange keine Immunität auf Lebenszeit.
Amir Fuchs vom Israelischen Demokratie-Institut bestätigt, dass eine gewährte Immunität stets nur für eine Amtszeit gelte. In der nächsten Knesset müsse Netanjahu dann erneut Immunität beantragen, sollte er sie jetzt erhalten. Aber: »Wenn sie sich dazu entschließen, ihm die Immunität zu verwehren, dann ist es das.« Eine einmalige Ablehnung gelte für immer.
Nach Angaben des Mitte-Bündnisses Blau-Weiß soll es bereits am Sonntag ein erstes Treffen der Verantwortlichen im Parlament geben, um über die Einrichtung des zuständigen Ausschusses zu diskutieren. Der Parteivorsitzende Benny Gantz sagte: »Blau-Weiß unter meiner Führung wird alles rechtlich Mögliche dafür tun, es wird darauf hinarbeiten, ein Knesset-Komitee zu bilden, um Immunität für einen kriminellen Angeklagten zu verhindern.«
Der ultrarechte Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman (Israel Beitenu) hatte bereits zuvor gesagt, seine Partei werde nicht für eine Immunität Netanjahus stimmen.
Rechtlich gesehen gibt es nach Angaben von Experte Fuchs keinen Grund, den Ausschuss nicht vor der Wahl einzurichten. Entscheidend sei, was die politische Mehrheit wolle. Mit dem Antrag auf Immunität habe Netanjahu das Verfahren gegen ihn vorerst auf Eis gelegt. Der nächste Schritt sei nun, den Ausschuss in der Knesset zu bilden. Ohne Netanjahus Antrag kurz vor Ablauf einer entsprechenden Frist hätte die Generalstaatsanwaltschaft die Anklage gegen ihn bei Gericht einreichen können.
Das Justizministerium hatte im November mitgeteilt, dass der 70 Jahre alte Regierungschef wegen Betrugs und Untreue sowie Bestechlichkeit angeklagt werden soll. Es ist das erste Mal in der Geschichte Israels, dass ein amtierender Ministerpräsident vor einer Anklage steht. Netanjahu sprach von einem Putschversuch und kritisierte Israels Justiz aufs Schärfste.
Bei den Vorwürfen gegen Netanjahu geht es um den Verdacht der Beeinflussung von Medien, angeblich krumme Deals mit Unternehmen und Luxusgeschenke befreundeter Geschäftsleute im Gegenzug für politische Gefälligkeiten. Sollte er wegen Bestechlichkeit verurteilt werden, drohen Netanjahu bis zu zehn Jahre Haft. Im Falle einer Verurteilung wegen Betrugs und Untreue wäre die Höchststrafe drei Jahre Gefängnis.
Israels Oberstes Gericht lehnte eine Petition gegen eine mögliche künftige Regierungsbildung von Netanjahu wegen der Korruptionsanklage ab. Das Gericht in Jerusalem teilte am Donnerstag mit, es handele sich um eine verfrühte und theoretische Diskussion, solange es kein Wahlergebnis gebe. 67 Netanjahu-Kritiker hatten eine Klarstellung gefordert, dass Netanjahu im Falle eines Wahlsieges nicht mit der Regierungsbildung beauftragt werden dürfe.
Netanjahu hat indes wegen der Korruptionsanklage alle Ministerposten niedergelegt, die er zusätzlich innehatte. Sein Büro bestätigte, in der kommenden Woche sollten seine Nachfolger bekanntgegeben werden.
Das Amt des Ministerpräsidenten will Netanjahu trotz der Anklage behalten. Vier weitere Ämter - Gesundheit, Soziales, Landwirtschaft und Diaspora - gab er jedoch ab. Als nachfolgender Gesundheitsminister war bereits der bisherige Stellvertreter Jakov Litzman ernannt worden.