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Nord-Stream-Anschlag: Ukrainer wird per Haftbefehl gesucht

Die Ermittlungen zur Sprengung der Nord-Stream-Pipelines schienen erst ins Leere zu führen. Dann kam doch noch Bewegung in die Sache. Wieso konnte ein Verdächtiger ungehindert aus Polen ausreisen?

Gasempfangsstation am Standort Lubmin
In Lubmin hätte das über Nord Stream 2 gelieferte russische Gas ankommen sollen. Doch so weit kam es nicht. (Archivbild) Foto: Stefan Sauer/DPA
In Lubmin hätte das über Nord Stream 2 gelieferte russische Gas ankommen sollen. Doch so weit kam es nicht. (Archivbild)
Foto: Stefan Sauer/DPA

Der Generalbundesanwalt sucht im Fall der Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines vor fast zwei Jahren einen Ukrainer, der sich von Polen in sein Heimatland abgesetzt haben soll. Die polnische Staatsanwaltschaft habe von der Bundesanwaltschaft einen Europäischen Haftbefehl zur Festnahme eines Verdächtigen erhalten, sagte eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft in Warschau der Deutschen Presse-Agentur. 

Bei dem Verdächtigen handelt es sich demnach um Wolodymyr Z., einen ukrainischen Staatsbürger, der sich zuletzt in Polen aufhielt. Die Ermittler hätten ihn jedoch an seinem Wohnort nicht angetroffen, sagte die Sprecherin. Sie fügte hinzu: »Der Mann hat Anfang Juli die Grenze zwischen Polen und der Ukraine überquert.« Laut »Tagesschau« waren die deutschen Strafverfolger im Juni mit einem Europäischen Haftbefehl auf die polnischen Behörden zugegangen. 

Drei Verdächtige sollen Taucher sein

»Die Zeit«, die »Süddeutsche Zeitung« und die ARD berichteten, der Mann sowie zwei weitere ukrainische Staatsangehörige - ein Mann und eine Frau - stünden unter Tatverdacht. Den Berichten zufolge sollen sie an den Anschlägen beteiligt gewesen sein. Sie könnten als Taucher die Sprengsätze an den Pipelines angebrachten haben, hieß es weiter. Die nun veröffentlichten Informationen stützen sich demnach auch auf »Hinweise eines ausländischen Nachrichtendienstes«. Die Bundesanwaltschaft wollte sich auf Anfrage nicht zu den Medienberichten äußern.

Mehrere Sprengungen hatten die beiden Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 Ende September 2022 beschädigt und unterbrochen. Die Explosionen wurden in der Nähe der dänischen Ostsee-Insel Bornholm registriert. Wenig später entdeckte man vier Lecks an drei der insgesamt vier Leitungen der Nord-Stream-Pipelines. Durch Nord Stream 1 floss zuvor russisches Erdgas nach Deutschland. Nord Stream 2 war wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der folgenden politischen Streitigkeiten noch nicht in Betrieb. 

Nord-Stream-Ermittlungen
Nach dem Sprengstoffanschlag waren die Folgen des Gaslecks deutlich zu erkennen. (Archivbild) Foto: Danish Defence Command/DPA
Nach dem Sprengstoffanschlag waren die Folgen des Gaslecks deutlich zu erkennen. (Archivbild)
Foto: Danish Defence Command/DPA

Kein Eintrag in Schengen-Liste der Gesuchten

Möglich sei die Ausreise des Verdächtigen gewesen, weil von deutscher Seite kein Eintrag in das Schengen-Register erfolgt sei, in dem die mit Europäischem Haftbefehl Gesuchten geführt werden, sagte die Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft in Warschau. Sie fügte hinzu: »Wolodymyr Z. hat die polnisch-ukrainische Grenze überquert, bevor es zur Festnahme kam, und der polnische Grenzschutz hatte weder die Informationen noch die Grundlage, um ihn festzunehmen, da er nicht als Gesuchter aufgelistet war.« 

Bisherige Ermittlungen hatten eine Segeljacht im Visier gehabt, auf der im Juli 2023 Sprengstoffspuren entdeckt wurden. Es wurde vermutet, dass die »Andromeda« möglicherweise für den Transport des Sprengstoffs zum Einsatz kam. Berichten zufolge gehen die Ermittler davon aus, dass das Sabotage-Kommando an Bord des Bootes mutmaßlich aus fünf Männern und einer Frau bestand. Das Boot soll die Gruppe unter Vorlage gefälschter Papiere angemietet haben.

Nur noch Deutschland ermittelt

Nach der Tat kam schnell die Frage auf, wie die Sprengladungen wohl angebracht wurden, um die Leitungen der Pipelines zu beschädigen. Experten hielten es für wahrscheinlich, dass ausgebildete Taucher Sprengsätze an den Orten angebracht haben könnten. Den Medienberichten zufolge soll der per Haftbefehl gesuchte Ukrainer Tauchlehrer sein. Die Behörden mehrerer Länder hatten nach dem Anschlag Ermittlungen aufgenommen. Dänemark und Schweden stellten die Verfahren allerdings inzwischen ein. 

Zu den Tätern und den Drahtziehern kursierten lange unterschiedliche Spekulationen. In der Bundesregierung sowie bei den an den Ermittlungen beteiligten Behörden gab es über Monate nur einen kleinen Kreis von Menschen, die den jeweils aktuellen Stand der Nachforschungen kannten. Das mag auch damit zu tun haben, dass der Fall politisch hochbrisant ist. Schließlich war das Projekt Nord Stream 2 von Anfang an höchst umstritten. Polen hatte den Bau der Nord-Stream-2-Pipeline, mit der Gas von Russland direkt nach Mecklenburg-Vorpommern hätte geliefert werden sollen, schon vor dem Angriff Russlands im Februar 2022 abgelehnt. 

Nord Stream 2
Das Projekt Nord Stream 2 war von Anfang an umstritten. (Archivbild) Foto: Jens Büttner/DPA
Das Projekt Nord Stream 2 war von Anfang an umstritten. (Archivbild)
Foto: Jens Büttner/DPA

Bundesregierung betont Unterstützung für Ukraine

Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts zu dem Anschlag hätten keine Auswirkungen auf die Unterstützung Deutschlands für die Ukraine, betonte der stellvertretende Regierungssprecher, Wolfgang Büchner, auf Nachfrage von Journalisten in Berlin. Er sagte, »dass hier die Ermittlungen nach Recht und Gesetz geführt werden auch ohne Ansehen der Person und auch völlig unabhängig davon, zu welchem Ergebnis solche Ermittlungen führen«. Die Ermittlungen änderten »nichts an der Tatsache, dass Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt«, fügte er hinzu. 

Regierungs-Pressekonferenz
Der stellvertretende Regierungssprecher, Wolfgang Büchner, will die Ermittlungen nicht kommentieren. (Archivbild) Foto: Wolfgang Kumm/DPA
Der stellvertretende Regierungssprecher, Wolfgang Büchner, will die Ermittlungen nicht kommentieren. (Archivbild)
Foto: Wolfgang Kumm/DPA

Die Aufklärung des Sabotageaktes habe für die Bundesregierung »höchste Priorität«, sagte Büchner. Ob die polnischen Behörden dabei ausreichend kooperieren, wollte er nicht bewerten.

© dpa-infocom, dpa:240814-930-202667/5