Die Einrichtung eines Tribunals für russische Kriegsverbrechen kann nach Einschätzung der ukrainischen Friedensnobelpreisträgerin Olexandra Matwijtschuk bereits kurzfristig Einfluss auf das Vorgehen der russischen Armee in ihrem Land haben.
»Schon wenn wir die ersten Schritte zu einem internationalen Tribunal gehen, sendet das ein Signal an die Täter, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden«, sagte die Juristin dem »Tagesspiegel«. »Das kann möglicherweise Leben retten.« Gemeinsam mit Partnern und Zeugen habe man 27.000 Fälle von Kriegsverbrechen dokumentiert. »Das ist nur die Spitze des Eisbergs.«
Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj hatte schon im September vor der UN-Vollversammlung für ein Sondertribunal geworben. Matwijtschuk hatte für das von ihr geleitete »Zentrum für bürgerliche Freiheiten« den Friedensnobelpreis entgegengenommen.
Matwijtschuk fordert Unterstützung von EU oder UN
Sie hält den Strafgerichtshof in Den Haag zur Aufklärung und Bestrafung von Kriegsverbrechen nicht für ausreichend. »Der Internationale Strafgerichtshof wird nur einige Fälle untersuchen. Wer bringt den Hunderttausenden Opfern Gerechtigkeit, deren Fälle nicht ausgewählt werden?«, sagte Matwijtschuk. »Wir müssen allen Opfern die Chance auf Gerechtigkeit geben, egal wer sie sind.«
Man dürfe nicht warten: »Wir müssen ein internationales Tribunal errichten und Putin, Lukaschenko und andere Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen.« Um ein solches Tribunal zu schaffen, brauche man die Unterstützung einer internationalen Organisation, am besten der Vereinten Nationen. Alternativ könnte ein Tribunal auch unter dem Dach der Europäischen Union oder des Europarats eingerichtet werden.
Aus der Geschichte wisse man, dass autoritäre Regime und deren Führungspersonen, die sich für unantastbar gehalten hätten, plötzlich vor Gericht standen - wie der ehemalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic. Der Krieg habe »genozidalen Charakter«. Die Kreml-Elite und ihre Propangandisten sprächen der Ukraine das Existenzrecht ab. »Wir können nicht aufhören, Widerstand zu leisten. Wenn wir das tun, wird es uns nicht mehr geben.«
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