Es läuft einfach nicht: 4,8 Prozent im Saarland und die Rückkehr in den Landtag verpasst; 6,4 Prozent in Schleswig-Holstein und aus der Regierung geflogen; 5,9 Prozent in Nordrhein-Westfalen und ebenfalls von der Regierungs- auf die Oppositionsbank verbannt; und schließlich in Niedersachsen mit 4,7 Prozent ebenfalls die Fünf-Prozent-Hürde gerissen. Das war die Pleitenserie der FDP im vergangenen Jahr.
Beim ersten Urnengang in diesem Jahr knüpften die Liberalen daran nahtlos an. In Berlin blieben sie am Sonntag wieder unter 5 Prozent und müssen im Abgeordnetenhaus nun ihre Büros räumen.
FDP-Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner macht gleich deutlich, wo er die Verantwortung für das Wahlergebnis nicht sieht: bei den Berliner Liberalen und ihrem Spitzenkandidaten Sebastian Czaja. Vielmehr habe die mit SPD und Grünen im Bund regierende FDP nicht von der Wechselstimmung in der Hauptstadt profitiert. Diese Stimmen seien exklusiv an die CDU gegangen.
Lange ist es her, dass die Liberalen triumphieren konnten
Lindner macht klar, dass seine Partei nun mehr auf eigene Ziele pochen wird - das könnte für weitere Reibungspunkte innerhalb der Ampel-Koalition sorgen. »Eine Politik gegen das Auto ist ganz offensichtlich nicht im Interesse der Menschen«, sagt er in Berlin und beharrt auf Wahlfreiheit in der Mobilität. Seine Absage an mehr Bürokratisierung könnte auch weitere Eingriffe in den Mietmarkt betreffen. Zentral sei die - mit den Grünen umstrittene - Planungsbeschleunigung in Deutschland sowie wirtschaftlicher Erfolg.
Und die FDP wolle zwar ein modernes Einwanderungsrecht, aber keine ungeregelte Migration. Offensichtlich wollten sich viele Menschen ihre Beobachtungen misslungener Integration nicht ausreden lassen, sagt Lindner. Und: »Es gibt eine ganz klare Erwartung, irreguläre Migration nach Deutschland zu unterbinden.«
Lange ist es her, dass die Liberalen triumphieren konnten. Das war bei der Bundestagswahl im Herbst 2021, wo sie exzellente 11,5 Prozent holten. Seitdem ging es nur bergab - bei den Landtagswahlen, aber auch in den bundesweiten Umfragen, wo die FDP jetzt bei 6 bis 8 Prozent angekommen ist.
Wie schneidet die FDP bei den kommenden Wahlen ab?
Und die weiteren Wahlen in diesem Jahr könnten ebenfalls schwierig werden. So ist etwa Bremen, wo im Mai gewählt wird, nicht gerade ein FDP-Pflaster. Schon mehrfach scheiterten die Freien Demokraten dort an der Fünf-Prozent-Hürde. Gleiches gilt für Bayern. Dort wird im Oktober ein neuer Landtag gewählt. Noch am erfolgversprechendsten ist für die FDP die Hessen-Wahl am selben Tag.
Im Grunde kann Lindner die gleiche Analyse vornehmen wie nach der vergeigten Niedersachsen-Wahl im vergangenen Oktober. Der FDP gelinge es gegenwärtig nicht, für ihr klares Profil hinreichend Unterstützung zu bekommen, bedauerte er damals. Sie stelle sich der Herausforderung, das als richtig erkannte Profil »jetzt herauszuarbeiten und zu stärken«. Es gehe darum, »wie wir die Positionslichter der FDP anschalten«.
In den vier Monaten bis zur Berliner Abgeordnetenhauswahl war dies ganz offensichtlich nicht gelungen. »Selbstverständlich hat das auch Folgen mit Blick auf Berlin«, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am Wahlabend in der »Berliner Runde« des ZDF und meinte damit die Ampel. »Ich bleibe dabei, dass die FDP, vor allem die Stimme der FDP innerhalb der Koalition, innerhalb der sogenannten Ampel-Koalition noch deutlicher sein muss.«
Keine Kritik an FDP-Spitze
Erstaunlich ist, dass es trotz der Pleitenserie bisher keine offene Kritik an der Parteiführung gibt. Wenn Journalisten diese abrufen wollen, wenden sie sich regelmäßig an Gerhart Baum. Das FDP-Urgestein haut als Einziger mal ein paar kritische Sätze raus. Nach der Wahl in Niedersachsen verlangte er zum Beispiel ein klareres Bekenntnis der FDP zur Ampel-Koalition. »Wer sich dauernd darüber beklagt, dass er mit zwei Linksparteien im Boot sitzt, der vergisst, dass er das Boot mitsteuern kann. Und er vergisst, dass er auch gefragt werden könnte, warum er denn nicht aussteigt«, sagte Baum damals der Deutschen Presse-Agentur. Das klingt heute so aktuell wie damals.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler regte nun eine Personaldebatte bei den Liberalen an. »Es ist wie im Fußball. Wenn man über eine längere Zeit alle Spiele verliert, dann muss man die Mannschaftsaufstellung überdenken«, sagte Schäffler der »Bild«-Zeitung. Konkrete Namen wollte er demnach nicht nennen. Klar sei aber, dass die Ampel-Koalition die Partei immer weiter nach unten ziehe. Der Abgeordnete Max Mordhorst sagte der Zeitung, im Bund fehle seiner Partei das richtige Maß »zwischen notwendigen Kompromissen und konsequenter Durchsetzung von FDP pur«. Wenn seine Partei sich jetzt nicht berappele, drohe 2023 »ein übles Jahr« zu werden.
Sollte der Parteibasis nach dem Verteilen von Denkzetteln zumute sein, böte sich Ende April eine gute Gelegenheit dazu. Dann trifft sich die FDP zum Bundesparteitag und wählt die Führungsmannschaft neu. Die Richtschnur für Lindner sind 93 Prozent, sein Ergebnis von vor zwei Jahren.
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