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Neue Getreideblockade - Moskau setzt ukrainischen Deal aus

Das Getreideabkommen war im Ukraine-Krieg ein kleiner Hoffnungsschimmer. Doch immer wieder hat Russland damit gedroht, den Pakt wieder zu stoppen. Nun dient Moskau ein Angriff auf der Krim als Begründung dafür.

Getreidedeal
Russland hat nach den Drohnenangriffen auf der Krim das Abkommen zum Transport von ukrainischem Getreide aus den Häfen im Schwarzen Meer aufgekündigt. Foto: Khalil Hamra
Russland hat nach den Drohnenangriffen auf der Krim das Abkommen zum Transport von ukrainischem Getreide aus den Häfen im Schwarzen Meer aufgekündigt.
Foto: Khalil Hamra

Russland will die sichere Passage der ukrainischen Getreidetransporte durch das Schwarze Meer ab sofort nicht mehr gewährleisten und blockiert so erneut den Schiffsverkehr. Moskau blockiere unter einem Vorwand die Transporte, »die Lebensmittelsicherheit für Millionen Menschen bedeuten«, schrieb der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Samstagabend auf Twitter.

Er reagierte damit auf die von Russland verkündete Aussetzung eines im Juli unter Vermittlung der Türkei und der UN geschlossenen Abkommens, das im Sommer eine monatelange und kriegsbedingte Blockade der ukrainischen Getreideausfuhren beendet hatte.

Selenskyj fordert Ausschluss Russlands aus G20

Wegen der neuen Blockade forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj einen Ausschluss Russlands aus der G20. »Algerien, Ägypten, Jemen, Bangladesch, Vietnam – diese und andere Länder könnten unter einer weiteren Verschärfung der Nahrungsmittelkrise leiden, die Russland bewusst provoziert«, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. »Warum kann eine Handvoll Personen irgendwo im Kreml entscheiden, ob es Essen auf den Tischen der Menschen in Ägypten oder in Bangladesch geben wird?«

Nötig sei eine starke Reaktion der Vereinten Nationen, aber auch der Gruppe wichtiger Industrie- und Schwellenländer (G20). »Russland gehört nicht in die G20«, sagte Selenskyj.

Der Getreidedeal war zunächst für vier Monate bis November geschlossen worden. Russland hatte das Abkommen zuletzt aber immer wieder kritisiert, weil es sich durch die Sanktionen des Westens im Zuge seines Krieges gegen die Ukraine bei den eigenen Getreideexporten ausgebremst sieht.

Moskau hatte damit gedroht, Deal aufzukündigen

Die russische Führung sieht die Vereinten Nationen in der Pflicht, sich im Westen dafür einzusetzen, damit auch Moskau Getreide, Dünger und Nahrungsmittel exportieren und Geld verdienen könne. Auch deshalb hatte Moskau immer wieder gedroht, den Getreidedeal aufzukündigen.

Russland informierte am Samstagabend UN-Generalsekretär António Guterres offiziell über die Aussetzung des Abkommens. Wegen Drohnenangriffen auf russische Schiffe aus dem geschützten Korridor im Schwarzen Meer könne Russland »die Sicherheit von zivilen Schiffen, die im Rahmen der oben genannten Initiative reisen, nicht garantieren«, schrieb der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja Guterres am Samstag. Das Schreiben liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.

UN-Generalsekretär António Guterres hatte die Vereinbarung vom Juli als ein »Leuchtfeuer der Hoffnung« bezeichnet in dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. Er sah die Möglichkeit, dass weitere Schritte zur Beilegung des Konflikts folgen könnten. Bereits in der Nacht zum Samstag hatte Guterres alle Seiten aufgefordert, »alle Anstrengungen« für eine Verlängerung des Abkommens zu unternehmen. Der Deal war bis zum 18. November befristet, hätte aber - wenn keine Seite widersprochen hätte - nach UN-Angaben automatisch verlängert werden können.

Kritik aus den USA

Die USA haben die neue russische Blockade kritisiert und eine Wiederaufnahme der Lieferungen gefordert. Präsident Joe Biden nannte das russische Vorgehen empörend und betonte, dass es für mehr Hunger auf der Welt sorgen werde.

»Russland setzt Nahrungsmittel erneut als Waffe in dem Krieg, den es begonnen hat, ein«, kritisierte US-Außenminister Antony Blinken. Er rief die russische Regierung dazu auf, wieder die Vereinbarung zur sicheren Passage ukrainischer Getreidetransporte einzuhalten.

UN haben weiter Hoffnung, dass Deal fortgesetzt wird

Die Vereinten Nationen haben die Hoffnung auf ein Fortbestehen des Deals derweil noch nicht aufgegeben. »Wir stehen mit den russischen Behörden in dieser Sache in Kontakt«, sagte ein UN-Sprecher in New York. »Es ist unerlässlich, dass alle Seiten jegliche Handlungen unterlassen, die das Getreideabkommen gefährden, das eine entscheidende humanitäre Anstrengung ist, die eindeutig einen positiven Einfluss auf den Zugang zu Lebensmitteln für Millionen von Menschen weltweit hat.«

Als Grund für die Aussetzung hatte Russland zuvor Drohnenangriffe gegen die Infrastruktur der Schwarzmeerflotte in der Stadt Sewastopol auf der 2014 von Moskau annektierten Halbinsel Krim genannt. Dabei wurde nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums am Samstag auch ein Minenräumschiff der Schwarzmeerflotte leicht beschädigt.

Das russische Außenministerium stellte die Behauptung auf, die ukrainischen Streitkräfte hätten unter Missbrauch des humanitären Korridors für die Getreideausfuhren per Schiff Angriffe aus der Luft und vom Meer aus gegen die russische Schwarzmeerflotte verübt. Im Zusammenhang mit diesen Attacken könne die russische Seite die Sicherheit der zivilen Getreideschiffe nicht mehr gewährleisten, teilte das Ministerium mit. Russland könne deshalb seine Teilnahme am Abkommen nicht mehr halten - und setze sie für unbestimmte Zeit aus.

»Ich rufe alle Staaten auf, zu fordern, dass Russland seine «Hunger Games» stoppt und sich wieder an seine Verpflichtungen hält«, teilte Außenminister Kuleba in Kiew mit. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak schrieb bei Twitter, dass alle Verhandlungen mit Russland Zeitverschwendung seien. Neben der Getreideblockade gebe es atomare Erpressung und Energieterror. Kremlchef Wladimir Putin nutze in seinem hybriden Krieg auch Nahrungsmittel als eine Waffe gegen die Welt.

Die Agrarexporte über die ukrainischen Schwarzmeerhäfen waren wegen des russischen Angriffskrieges vor dem Deal monatelang blockiert gewesen. Die Kriegsgegner Ukraine und Russland hatten am 22. Juli unter UN-Vermittlung jeweils getrennt mit der Türkei ein Abkommen unterzeichnet, um von drei Häfen Getreideausfuhren aus der Ukraine zu ermöglichen. Ein Koordinierungszentrum in Istanbul ist mit Vertretern der vier Parteien besetzt. Inspektionen sollten unter anderem sicherstellen, dass Schiffe keine Waffen geladen haben. Das erste Schiff fuhr Anfang August. Russland und die Ukraine sind beide große Getreideexporteure, die mit den Ausfuhren Milliarden verdienen.

Selenskyj beklagte Blockade von Getreideschiffen

Putin plane nicht, mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan über die Aussetzung der Vereinbarung zu sprechen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Selenskyj hatte bereits in den vergangenen Tagen beklagt, dass Russland die Durchfahrt von mehr als 100 mit Getreide beladenen Schiffen blockiere. Er betonte die Bedeutung dieser Lieferungen für die Bekämpfung des Hungers in der Welt. Obwohl der Krieg die Exporte weiter behindere, habe die Ukraine seit dem Inkrafttreten des Getreideabkommens fast acht Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Seeweg ausgeführt, sagte Selenskyj unlängst. 60 Prozent der Menge seien nach Afrika und Asien gegangen.

Russland warf nun der britischen Marine vor, die Anleitungen zum Beschuss des Flottenstützpunkts Sewastopol mit Drohnen gegeben zu haben. Beklagt worden war in Russland zuletzt auch, dass der Sprengstoff für den Anschlag auf die Krim-Brücke über den Seeweg aus der Ukraine geschmuggelt worden sein könne. Beweise gab es nach Angaben von Kremlchef Putin nicht. Er hatte aber angedeutet, dass auch das ein Grund für ein Ende des Getreidedeals sein könnte.

© dpa-infocom, dpa:221029-99-309093/13