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Neue Bündnisse, alte Feindschaften: Gaza und der Nahe Osten

Das Schicksal der Palästinenser ist tief verwurzelt im kollektiven Gewissen vieler Länder in Nahost. Durch den Gaza-Krieg ist diese alte Wunde jetzt aufgerissen.

Gaza und der Nahe Osten
Zwei Personen genießen den Sonnenuntergang in Kairo. Ägypten nimmt eine wichtige Vermittler-Rolle zwischen Israel und der Hamas ein. Foto: Wu Huiwo/DPA
Zwei Personen genießen den Sonnenuntergang in Kairo. Ägypten nimmt eine wichtige Vermittler-Rolle zwischen Israel und der Hamas ein.
Foto: Wu Huiwo/DPA

Ein verworrenes Netz aus Konflikten, neuen Bündnissen und alten Feindschaften zieht sich durch den Nahen Osten. Der Krieg zwischen Israel und der im Gazastreifen herrschenden Hamas seit dem 7. Oktober hat die Region aufgerüttelt. Nicht nur wegen einer drohenden Ausweitung auf Nachbarländer, sondern weil der Kampf für die Rechte der Palästinenser für viele von ihnen lange im Zentrum der Politik stand.

Hinter Annäherungen mit Israel stehen jetzt Fragezeichen. Die Verbindungen der Länder zum Gaza-Krieg in einem Überblick:

Ägypten

Ägypten nimmt eine Schlüsselrolle ein beim Versuch, zwischen Israel und Hamas zu vermitteln. Vertretern aus Kairo gelang das auch nach dem Elf-Tage-Krieg 2021. Weil Ägypten den einzigen nicht-israelischen Grenzübergang in den Gazastreifen kontrolliert, sorgt es sich zugleich um große Ströme palästinensischer Flüchtlinge ins eigene Land. Verbindungen der Hamas mit Extremisten im Nord-Sinai könnten die Sicherheitslage dort weiter verschlechtern. Zudem besteht die Sorge, dass Israel die Verantwortung für den Küstenstreifen Ägypten unterschieben könnte. Die Bevölkerung steht in großen Teilen aufseiten der Palästinenser.

Libanon

Im Libanon sitzt mit der vom Iran unterstützten Hisbollah ein erklärter Erzfeind Israels. Die Schiitenorganisation hat eine Art Staat im Staat aufgebaut und ist deutlich mächtiger als Hamas. Ihr Ziel und Auftrag: der Widerstand gegen Israel. Seit Beginn des Krieges kommt es auch an der israelisch-libanesischen Grenze immer wieder zu Beschuss, der auf beiden Seiten Todesopfer gefordert hat. Eine Eskalation ist nicht auszuschließen. Denn die Hisbollah unterhält enge Verbindungen zur Hamas und hat sich klar an der Seite des »palästinensischen Widerstands« positioniert. Einen Krieg würde das Land, gelähmt von einem Machtvakuum an der Staatsspitze und einer massiven Wirtschaftskrise, in eine noch tiefere Krise stürzen.

Syrien

In Syrien hat Israel schon vor Kriegsbeginn häufig Ziele angegriffen, um zu verhindern, dass der Iran - verbündet mit Syriens Regierung - und Iran-treue Milizen ihren Einfluss dort vergrößert. Israel hat die Angriffe ausgeweitet, darunter auf die Flughäfen in Damaskus und Aleppo. Das syrische Außenministerium sprach von einem »alarmierenden Muster der Kriegslust«. In Syrien stationierte US-Truppen wurden seit Kriegsbeginn unterdessen mindestens neunmal mit Drohnen und Raketen angegriffen, das US-Militär reagierte mit Luftangriffen. Die USA sind als wohl wichtigster Verbündeter Israels für proiranische Kämpfer in der Region noch mehr zum Feindbild geworden als zuvor.

Irak

Auch im Irak haben sich diese Angriffe verstärkt: Dort zählten die USA mindestens 14 Attacken auf ihre Truppen. Teheran-treue Milizen haben im Irak großen Einfluss, und die alte Diskussion um den Abzug der US-Truppen - derzeit noch etwa 2500 Soldaten - ist neu entflammt. Die Amerikaner seien »üble Menschen« und würden »das Feuer der Hölle spüren«, wenn sie das Land nicht verließen, erklärte die mächtige Miliz Kataib Hisbollah kürzlich. Kontakt mit Israel steht im Irak schon seit dem Sommer 2022 unter Strafe, darunter Reisen nach oder Beziehungen mit Israel oder etwa die Verbreitung »zionistischer Ideen« im Internet. Es drohen lebenslange Haft oder die Todesstrafe.

Saudi-Arabien

Saudi-Arabien hält sich bis auf allgemeine Statements zum Krieg sehr im Hintergrund. Das liegt auch an der komplizierten Lage: Das Land ist für die eigene Sicherheit auf Israels Verbündeten USA angewiesen, ist aber auch wichtige Schutzmacht der Palästinenser. Während König Salman sich deren Schutz ein Leben lang verpflichtet hat, soll dessen Sohn und Kronprinz Mohammed bin Salman ihre Belange als zweitrangig betrachten. Aus Riad kommen deshalb gemischte Signale. Die mögliche Normalisierung mit Israel, die auf Annäherungen der Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrains und Marokkos mit Israel in vergangenen Jahren folgen würde, liegt jetzt erstmal auf Eis.

Katar

Auf Katar richten sich viele Hoffnungen beim Versuch, eine Feuerpause oder die Freilassung weiterer Geiseln zu erreichen. Das kleine und sehr reiche Emirat soll den Gazastreifen bisher mit mehr als 2,1 Milliarden US-Dollar unterstützt haben, die Beziehungen zur Hamas reichen bis in die 1990er Jahre zurück. Nach deren Terrorangriff vom 7. Oktober mit inzwischen mehr als 1400 israelischen Toten steigt der Druck auf Katar, sich von der Hamas loszusagen und auch Hamas-Chef Ismail Hanija nicht weiter zu beheimaten. Die USA haben diese Haltung zur Hamas, die von Westen als Terrororganisation eingestuft wird, bei ihrem Verbündeten Katar bisher hingenommen.

Jemen

Der Jemen liegt 1600 Kilometer entfernt, die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen dort könnten für Israel dennoch zur Bedrohung werden. Ein paar versuchte Angriffe auf Israel gab es bereits. Das Arsenal der Huthis, stetig ausgebaut und stolz präsentiert bei Militärparaden, umfasst auch Kampfdrohnen mit großer Reichweite, die selbst Radars überlisten können. »Es sind symbolische Attacken, aber wichtige Botschaften des Iran, dass dessen Verbündete Angriffe auf Israel von verschiedenen Orten versuchen können und sogar US-Ziele treffen können«, sagt Experte Magid al-Madhadschi vom Sanaa Centre for Strategic Studies der emiratischen Zeitung »The National«.

Iran

Im Iran hat Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei den Großangriff der Hamas auf Israel nach wenigen Tagen gelobt, eine Verstrickung aber zurückgewiesen. Insbesondere die USA und Israel werfen Teheran vor, die Hamas jahrelang unterstützt zu haben und so zumindest indirekt für die Angriffe verantwortlich zu sein. Dabei dürfte das Land kein Interesse an einem Flächenbrand haben. Nur wenige Wochen vor Kriegsbeginn gab es nach einem Gefangenentausch vorsichtige Annäherungen mit den USA. Und auch die Hisbollah im Libanon, der wichtigste Verbündete Teherans im Nahen Osten, trat bisher nicht mit voller Kraft in den Konflikt ein. Teheran dürfte auch vom Zorn in der arabischen Welt gegen seinen Erzfeind Israel profitieren.

Türkei

Die Türkei und Israel hatten sich nach jahrelanger Eiszeit eigentlich erst wieder angenähert. Dementsprechend zurückhaltend äußerte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kurz nach dem blutigen Angriff der Hamas und schien eine Vermittlerrolle anzustreben. Doch mit den steigenden Opferzahlen in Gaza wurde auch Erdogans Rhetorik schärfer. Er warf Israel einen »Genozid« am palästinensischen Volk vor und beschuldigte Israels Regierung der Kriegsverbrechen. Die Zahl der getöteten Palästinenser im Gazastreifen ist seit Kriegsbeginn laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde auf 8525 gestiegen. Inzwischen hat Israel alle Diplomaten aus der Türkei abgezogen.

© dpa-infocom, dpa:231031-99-773292/2