Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sieht im militärischen Vorgehen gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen weiter die einzige Möglichkeit, die in dem Küstengebiet festgehaltenen Geiseln zurück nach Israel zu holen. »Nur die Fortsetzung des kraftvollen militärischen Drucks, den wir ausgeübt haben und noch ausüben werden, wird unsere Geiseln zurückbringen«, sagte Netanjahu nach Angaben seines Büros bei einem Treffen mit Angehörigen verschleppter Soldaten. »Ich weiß, dass jeder Tag, der vergeht, für Sie die Hölle ist.« Er wolle keine Geisel zurücklassen.
Israelischen Schätzungen zufolge sind noch knapp 100 Verschleppte am Leben. Auslöser des Krieges war die Terrorattacke der Hamas und anderer palästinensischer Extremisten auf Israel vom 7. Oktober. Die Angreifer ermordeten dabei im israelischen Grenzgebiet mehr als 1200 Menschen und verschleppten 250 weitere Menschen in den Gazastreifen. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive, die ihrerseits Tausende Menschen das Leben kosteten.
Verhandlungen kommen nicht voran
Die Verhandlungen der Vermittlerstaaten Katar, Ägypten und USA über eine Feuerpause in dem Krieg und die Freilassung der Geiseln kommen derzeit nicht voran. Nachdem die Hamas kürzlich einen neuen Kompromissvorschlag ablehnte, kehrte das israelische Verhandlungsteam Anfang der Woche von den indirekten Gesprächen in Katar zurück.
Israel will nach der jüngsten Krise die Gespräche fortsetzen. Eine hochrangige Delegation werde dafür in den kommenden Tagen nach Katar und Ägypten reisen, teilte das Büro des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit. Israels Regierungschef sicherte dem israelischen Verhandlungsteam unter Leitung des Chefs des Auslandsgeheimdienstes Mossad sowie des Chefs des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet Spielraum bei den Verhandlungen zu. Weitere Details nannte Netanjahus Büro nicht.
Israel hält Netanjahu zufolge weiter die Kontrolle über den nördlichen Gazastreifen und die Stadt Chan Junis. Zudem bereite sich die Armee weiterhin darauf vor, in Rafah ganz im Süden Gazas einzumarschieren, bekräftigte Israels Regierungschef.
UN-Gericht: Israel muss mehr Hilfsgüter zulassen
In der Stadt suchen jüngsten UN-Schätzungen zufolge derzeit rund 1,2 Millionen Menschen auf engstem Raum Schutz vor den Kämpfen in den anderen Teilen des Küstengebiets. Die USA und Deutschland haben Israel mehrfach deutlich vor einer großangelegten Bodenoffensive in Rafah gewarnt. Israel will in dem Ort nahe der ägyptischen Grenze die letzten Bataillone der Hamas zerschlagen.
Angesichts der schlimmen humanitären Lage und der vielen zivilen Opfer infolge des Gaza-Kriegs gibt es aus vielen Ländern Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag verpflichtete Israel, schnell die Lieferung von deutlich mehr Hilfsgütern in den Gazastreifen zuzulassen.
Im laufenden Völkermord-Verfahren gegen Israel ordnete das höchste Gericht der Vereinten Nationen an, es müssten mehr Grenzübergänge für den Transport von Nahrungsmitteln sowie medizinischer Hilfe geöffnet werden. Es bestehe nicht mehr nur das Risiko einer Hungersnot, sondern diese habe bereits eingesetzt, hieß es. Israel muss nun innerhalb eines Monats dem Gerichtshof berichten, welche Maßnahmen es zur Umsetzung ergreift.
Israels Armee: Ranghohes Hamas-Mitglied getötet
Israels Armee tötete im Zuge des Militäreinsatzes im Schifa-Krankenhaus in der Stadt Gaza im Norden des abgeriegelten Küstengebiets nach eigenen Angaben ein ranghohes Hamas-Mitglied. Raad Thabit zählte zu den zehn ranghöchsten Anführern des militärischen Arms der Islamistenorganisation, wie Militärsprecher Daniel Hagari mitteilte.
Er gehörte Beobachtern zufolge auch zum engen Kreis des Hamas-Chefs im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar. Die Hamas bestätigte seinen Tod zunächst nicht. Am Dienstag hatte Israels Armee die Tötung des dritthöchsten Hamas-Anführers im Gazastreifen, Marwan Issa, bei einem Luftangriff vor zwei Wochen bestätigt.
Bei dem Einsatz im Schifa-Krankenhaus, der größten Klinik des Gazastreifens, wurden Hagari zufolge bislang 900 Verdächtige festgenommen. Mindestens 513 von ihnen sollen demnach Mitglieder der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihads (PIJ) sein. Laut der israelischen Armee wurden im Zuge des Einsatzes rund 200 Terroristen im und um das Krankenhaus herum getötet. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig bestätigen.
Die Kämpfe gingen Hagari zufolge auch andernorts im Gazastreifen weiter. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde teilte mit, die Zahl der seit Kriegsbeginn vor einem halben Jahr getöteten Palästinenser sei auf 32.552 gestiegen. Bei ihren kaum zu verifizierenden Angaben unterscheidet sie nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten.
Baerbock: Palästinenser sollen selbstbestimmt regieren
Nach einem Ende des Gaza-Kriegs sollte Israel nach Ansicht von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock die Kontrolle über den Küstenstreifen abgeben. Auf die Frage, wer dort nach Kriegsende das Sagen haben sollte, sagte die Grünen-Politikerin der Funke-Mediengruppe: »Die Palästinenserinnen und Palästinenser - frei von der Hamas, frei von Terror, selbstbestimmt und mit einer frei gewählten Regierung aller Palästinenser, also auch im Westjordanland.« Das werde nicht von einem Tag auf den anderen passieren. »Aber wir dürfen gerade jetzt im Krieg den politischen Horizont nicht aus den Augen verlieren.«
Mit arabischen Partnern arbeite die Bundesregierung Tag für Tag daran, dass eine Zwei-Staaten-Lösung in Reichweite bleibt, sagte Baerbock. Dazu gehörten der Aufbau einer zivilen Infrastruktur, eine Reform der Palästinensischen Autonomiebehörde, der wirtschaftliche Wiederaufbau - und eine Sicherheitsstruktur, inklusive Sicherheitsgarantien für Israel und für die Palästinenser. Schutz während einer Übergangszeit, bevor zwei Staaten in Frieden nebeneinander existieren könnten, gebe es nur mit internationalen Sicherheitsgarantien. Israels Regierungschef Netanjahu lehnt eine Zwei-Staaten-Lösung ebenso ab wie die Hamas.
Neuer palästinensischer Ministerpräsident bildet Regierung
Der jüngst ernannte palästinensische Ministerpräsident Mohammed Mustafa hat unterdessen eine neue Technokraten-Regierung gebildet. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas erließ ein Dekret, um ihr das Vertrauen auszusprechen, wie die amtliche palästinensische Nachrichtenagentur Wafa meldete. Washington setzt auf eine umgestaltete PA für die Zeit nach dem israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen.
Die USA wollen, dass die seit Jahren nur im Westjordanland regierende Autonomiebehörde auch in Gaza, wo die Hamas das Sagen hatte, wieder die Kontrolle übernimmt - und damit auch eine Zwei-Staaten-Lösung als Ansatz zur Befriedung des Nahen Ostens vorantreiben. Israel lehnt die Pläne ab. Die Hamas hatte die Autonomiebehörde 2007 gewaltsam aus Gaza vertrieben.
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