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Nach dem Brexit: Der Verhandlungspoker geht los

Der Brexit ist vollzogen - nun müssen binnen weniger Monate die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union geklärt werden. Der Verhandlungspoker beginnt.

Johnsons Pläne
Boris Johnson präsentiert die britischen Eckpunkten für die Verhandlungen mit der EU. Foto: Frank Augstein/AP/dpa
Boris Johnson präsentiert die britischen Eckpunkten für die Verhandlungen mit der EU. Foto: Frank Augstein/AP/dpa

London/Brüssel (dpa) - Es war eine Art Fernduell über den Ärmelkanal: Kaum hatte der EU-Unterhändler Michel Barnier am Montag in Brüssel Bedingungen für einen künftigen Handelspakt genannt, betonte Premierminister Boris Johnson schon mit großer Geste, was für Großbritannien gar nicht geht.

Wenige Tage nach dem Brexit war das der Vorgeschmack auf harte Monate am Verhandlungstisch. Am Ende wird die neue Beziehung der frisch geschiedenen Partner wohl längst nicht so eng wie von der Wirtschaft erhofft - wenn die Einigung denn rechtzeitig zustande kommt.

Barnier mahnte die Unternehmen jedenfalls, sich darauf einzustellen, dass es in den Handelsbeziehungen künftig rumpelt. Selbst mit einem sehr ehrgeizigen Freihandelsabkommen seien die Wirtschaftsbeziehungen nicht mit dem gemeinsamen Markt vergleichbar. Es gebe kein »Business as usual«. Warenkontrollen und Zollformalitäten seien nach Stand der Dinge unvermeidlich. Das seien »die mechanischen Konsequenzen der Bedingungen, die Großbritannien gewählt hat«.

Erst in der Nacht zum Samstag hat Großbritannien die Europäische Union verlassen - aber die viel beschworene ewige Freundschaft und besondere Partnerschaft gerät schon jetzt in den Schatten des anstehenden Verhandlungspokers. Bis zum Ende einer Übergangsphase im Dezember müssen beide Seiten ihre Beziehungen im Handel, aber auch beim Fischfang, in der Sicherheitspolitik, beim Datenschutz und auf vielen anderen Feldern neu ordnen. Die Ansagen am Montag waren kühl bis kampfeslustig.

Einig waren sich EU-Vertreter Barnier und Premierminister Johnson immerhin, dass man einen umfassenden Freihandelsvertrag ähnlich dem der EU mit Kanada will. Beide sagten auch, das sei bis Jahresende zu schaffen. Doch dann ging es verbal auseinander. Barnier bekräftigte, je mehr gemeinsame Standards man habe, desto besser werde der britische Zugang zum EU-Binnenmarkt mit seinen 450 Millionen Verbrauchern. Nötig seien »spezifische und wirksame Garantien«, um langfristig Wettbewerbsgleichheit zu sichern, das sogenannte Level Playing Field.

Johnson hielt in seiner Rede in London dagegen, Großbritannien werde sich auf keinen Fall vertraglich auf die Einhaltung von EU-Standards bei Umweltschutz, Arbeitnehmerrechten und staatlichen Beihilfen festlegen lassen. Es gebe für Großbritannien genauso wenig Grund, für ein Freihandelsabkommen die Regeln der EU in Kauf zu nehmen, wie andersherum, sagte Johnson. »Großbritannien wird die höchsten Standards in diesen Bereichen beibehalten, besser in vielerlei Hinsicht als die der EU - ohne den Zwang eines Vertrags, und es ist elementar, das jetzt zu betonen.«

Ähnlich war der Schlagabtausch beim ebenfalls sehr umstrittenen Thema Fischerei. Barnier machte eine Einigung zur Bedingung für den gesamten Partnerschaftsvertrag. »Diese Vereinbarung sollte den gegenseitigen Zugang zu Märkten und Gewässern weiter sichern, einschließlich stabiler Fangquoten«, sagte der EU-Unterhändler. Johnson scheint davon weit entfernt: Britische Gewässer müssten »zuvorderst« britischen Kuttern vorbehalten sein, der Zugang für EU-Fischer werde dann jährlich auf Basis wissenschaftlicher Daten ausgehandelt.

Beide Punkte hören sich ziemlich unvereinbar an - und das sind nur zwei von sehr vielen ungelösten Fragen. Einen harten Bruch ohne Vertrag zum Ende der Übergangsphase schließen beide Seiten nicht aus. Und doch bleibt Verhandlungsspielraum. »Johnson ist ja ein Mann der großen Gesten und der Rhetorik, aber auch sehr flexibel in vielen Dingen«, sagte der SPD-Europaabgeordnete und Handelsexperte Bernd Lange der Deutschen Presse-Agentur. »Ich halte eine Einigung auch nicht für unwahrscheinlich. Der pokert jetzt natürlich.«

Johnson selbst nannte es ebenfalls unwahrscheinlich, dass eine Einigung mit der EU scheitert. Vorerst scheint der Premier aber noch getragen vom Überschwang nach dem nun endlich vollzogenen Brexit. In der prachtvollen barocken Painted Hall im Royal Naval College malte er die Zukunft seines Landes außerhalb der EU in schillernden Farben. Großbritannien werde auf der ganzen Welt mit potenziellen Handelspartnern wie den USA, Australien, Neuseeland und Japan in Verhandlungen treten. »Wir kehren nach Jahrzehnten des Winterschlafs als Vorkämpfer des weltweiten Freihandels zurück«, schwärmte er.

Der Franzose Barnier konterte in Brüssel nur trocken, er lasse sich nicht »von dieser oder jener Äußerung« beeindrucken. Die nun geforderten fairen Wettbewerbsbedingungen seien ja schon von Großbritannien in der gemeinsamen Politischen Erklärung vom Herbst akzeptiert. Und er könne sich gar nicht vorstellen, dass eine Seite von dem abweiche, was man gemeinsam formuliert habe. Die Verhandlungen sollen Anfang März losgehen, sobald die EU-Staaten Barniers Mandat gebilligt haben.