US-Präsident Joe Biden hat sich in einem TV-Interview darum bemüht, die erheblichen Zweifel an seiner Eignung als Präsidentschaftskandidat auszuräumen – doch sie halten an. »Der Präsident ist zu Recht stolz auf seine Bilanz«, schrieb etwa David Axelrod, einst Chefstratege von Ex-Präsident Barack Obama, auf der Online-Plattform X. »Aber er ist gefährlich entfremdet von den Sorgen der Menschen hinsichtlich seiner Fähigkeiten und seiner Position in diesem Rennen.«
Das gut 20 Minuten lange Gespräch mit dem Sender ABC News hatte eigentlich der Schadenbegrenzung dienen sollen. Während Biden versuchte, Erfolge seiner Amtszeit in den Mittelpunkt zu rücken, wich der Journalist George Stephanopoulos nicht vom Thema seiner grundsätzlichen weiteren Eignung ab. Um politische Inhalte ging es überhaupt nicht.
Der mit 81 Jahren schon jetzt älteste US-Präsident der Geschichte reagierte uneinsichtig und sagte unter anderem, zu einem Rückzug könne ihn nur Gott bewegen. Umfragen, denen zufolge er in den vergangenen Tagen weiter an Unterstützung einbüßte, stellte Biden infrage. Einen ärztlichen Test nach seiner geistigen Fitness lehnte er auch auf mehrere Nachfragen von Stephanopoulos ab. Er weigerte sich außerdem, näher darauf einzugehen, was passieren würde, wenn Vertraute ihn warnen würden, dass sein Verhalten sich auch negativ auf die Mehrheiten im US-Kongress auswirken würde. Alle würden ihm sagen, er solle im Rennen bleiben, erklärte Biden.
Unruhe hinter den Kulissen
Bei der Wahl im November werden neben dem Präsidentenamt auch viele Sitze im Parlament neu vergeben. Unter Demokraten steigt die Angst, dass die Republikaner künftig sowohl im Weißen Haus als auch im Kongress die Kontrolle haben könnten. Vier demokratische Abgeordnete im Repräsentantenhaus haben bereits öffentlich Bidens Rückzug aus dem Rennen gefordert, zwei weitere ihre Einschätzung publik gemacht, dass Biden nicht gegen seinen republikanischen Herausforderer Donald Trump gewinnen kann.
Zweifel an der Eignung des Demokraten werden allerdings noch immer eher hinter vorgehaltener Hand geäußert, Kritik also indirekt über die US-Medien kommuniziert. Dort häufen sich entsprechende Aussagen von Mitarbeitern namentlich nicht genannter Kongressmitglieder. Diese Botschaften könnten in den kommenden Tagen noch lauter werden - es steht eine Sitzungswoche im Kongress an. Berichten zufolge wird in der Partei mit weiteren Abweichlern gerechnet.
So versucht demnach etwa der Senator Mark Warner, eine Gruppe von Demokraten hinter sich zu versammeln, um Biden davon zu überzeugen, aus dem Rennen auszusteigen. Laut den Berichten plant der Minderheitenführer im Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, morgen außerdem ein Treffen mit hochrangigen Demokraten seiner Kammer, um die Lage zu besprechen.
Öffentliche Unterstützung erhält Biden allerdings auch, etwa von seinem langjährigen Parteifreund, Senator Chris Coons. Der pries Bidens politische Leistung bei X an und schrieb: »Ich kann es kaum erwarten, ihm dabei zu helfen, den Kampf gegen Trump weiterzuführen und im November zu gewinnen.« Der Senator John Fetterman schrieb ebenfalls bei X, die Demokraten müssten jetzt Rückgrat beweisen und fügte hinzu: »Joe Biden ist unser Mann.«
Der demokratische Abgeordnete Mike Quigley, der Biden kurz vor Ausstrahlung des Interviews offen zum Rückzug aufgefordert hatte, widersprach Fetterman beim Sender CNN: Es brauche Rückgrat, um »anzuerkennen, dass der Präsident der Vereinigten Staaten nicht die nötige Energie hat, um das Defizit hier zu überwinden, und dass dies Auswirkungen auf uns alle haben wird«.
Desaströses TV-Duell
Vor gut einer Woche hatte Biden beim ersten Fernseh-Duell mit seinem republikanischen Gegner Trump einen desaströsen Auftritt hingelegt, sich mehrfach versprochen und den Faden verloren. Danach entbrannte in den USA eine Debatte darüber, ob Biden noch der richtige Präsidentschaftskandidat der Demokraten ist, um Trump erneut zu besiegen.
Biden kämpft seitdem an allen Fronten, um seine Kandidatur zu retten und setzt dabei auch auf zahlreiche Wahlkampftermine. In dem TV-Interview bei ABC News hatte er keine großen Aussetzer oder Patzer, suchte aber manchmal nach Worten. Nach Angaben des Senders wurde das Interview ungeschnitten ausgestrahlt.
Eigentlich hat Biden die Präsidentschaftskandidatur für seine Partei bereits sicher - offiziell soll er beim Parteitag der Demokraten gekürt werden, der vom 19. bis 22. August in Chicago stattfindet. Bei den Vorwahlen hat der US-Präsident die nötigen Delegiertenstimmen dafür gesammelt. Nennenswerte Konkurrenz hatte er im Vorwahlkampf nicht. Sollte er nun doch noch freiwillig das Handtuch werfen oder zum Verzicht gezwungen werden, müssten sich die Demokraten angesichts der nahenden Wahl schnell auf einen Ersatz einigen.
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