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Migration: Faeser bietet Tunesien Kooperation an

Tunesien soll bei Abschiebungen besser kooperieren und Schleusern das Handwerk legen. Doch Faeser weiß, dass sie den Tunesiern auch etwas anbieten muss. Mit mehr Arbeitsvisa wird es wohl nicht getan sein.

Faeser in Tunesien
Gérald Darmanin (l-r), Kamel Fekih und Nancy Faeser in Tunis. Foto: Bernd von Jutrczenka
Gérald Darmanin (l-r), Kamel Fekih und Nancy Faeser in Tunis.
Foto: Bernd von Jutrczenka

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat in Tunesien Möglichkeiten für eine künftige Vereinbarung zu Migrationsfragen ausgelotet. Mit Blick auf die gefährlichen Überfahrten mit Schlepperbooten sagte die SPD-Politikerin in der Hauptstadt Tunis, ihr gehe es auch darum, »das furchtbare Sterben im Mittelmeer zu beenden«.

Zuvor hatte Faeser Gespräche mit Innenressortchef Kamel Fekih und Präsident Kais Saied geführt. Dabei sei es gelungen, »Arbeitsstrukturen« zu etablieren, sagte Faeser. Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen kamen auch Menschenrechtsfragen zur Sprache.

Aus den Reihen der Grünen war vergangene Woche Kritik an der geplanten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gekommen. Ein Argument, das dabei mehrfach fiel: Tunesien dürfe nicht als sogenannter sicherer Drittstaat angesehen werden, also ein Staat, in dem die Rechte von Flüchtlingen gewahrt sind.

Anstieg der Migranten

Hintergrund des Besuchs von Faeser ist ein sprunghafter Anstieg der Zahl der Migranten, die in Booten Marke Eigenbau von Tunesien nach Europa aufbrechen, in der ersten Jahreshälfte. Ein Grund dafür waren nach Einschätzung der Bundespolizei Äußerungen von Präsident Saied, die im Februar zu einer Welle von Gewalt und Schikanen gegen Ausländer aus afrikanischen Staaten südlich der Sahara geführt hatten. Aber auch die Wirtschaftskrise in Tunesien trieb viele Menschen in die Boote. Die Anerkennungsquote für Asylbewerber aus Tunesien lag zuletzt unter zwei Prozent.

Beamte der Bundespolizei, die in Tunesien seit 2015 ein Projekt für die Ausbildung und Ausrüstung der Sicherheitskräfte hat, hatten der Ministerin am Sonntagabend berichtet, in den Tagen nach der Rede des Präsidenten hätten sich praktisch keine Migranten aus diesen Ländern mehr auf die Straße gewagt. Später habe sich die Situation dann wieder entspannt.

Faeser betonte, es gehe ihr einerseits darum, Abschiebungen in das arabische Land zu erleichtern. Andererseits soll es für tunesische Arbeitskräfte mehr Möglichkeiten der Erwerbsmigration nach Deutschland geben. Faeser besucht Tunesien gemeinsam mit ihrem französischen Amtskollegen Gérald Darmanin. Die frühere Kolonialmacht Frankreich hat traditionell enge Beziehungen zu Tunesien. Im vergangenen Jahr war allerdings nicht Frankreich, sondern Italien der wichtigste Handelspartner Tunesiens.

Tunesien als Transitland

Tunesien gehört aktuell neben Belarus zu den wichtigsten Transitländern für irreguläre Migration nach Europa. Allein in den ersten fünf Monaten kamen nach Kenntnis der Bundespolizei rund 26.000 Menschen auf diesem Weg, nach rund 4000 Bootsmigranten im Vorjahreszeitraum. Unter den irregulären Migranten sind auch Tunesier, die auf ein besseres Leben in Europa hoffen.

Mit Indien hatte die Bundesregierung Ende 2022 ein sogenanntes Migrationsabkommen vereinbart. Georgien und Moldau sollen demnächst folgen - auch wenn die in der Bundesregierung besprochene Einstufung dieser beiden Staaten als sogenannte sichere Herkunftsländer noch etwas länger dauern könnte.

Tunesien war einst die Wiege des sogenannten Arabischen Frühlings, einer Serie von Aufständen, durch die 2011 mehrere langjährige arabische Machthaber hinweggefegt wurden. Der frühere tunesische Präsident Zine al-Abidine Ben Ali floh damals nach Saudi-Arabien. Nach anfänglichen demokratischen Fortschritten machte sich in Tunesien Ernüchterung breit, unter anderem wegen der nach wie vor hohen Jugendarbeitslosigkeit. Tunesien braucht zudem Devisen und wirbt um ausländische Investitionen.

Vor einer Woche war EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Tunis. Sie stellte dem unter wirtschaftlichen Problemen leidenden Land zusätzliche Finanzhilfen in Höhe von bis zu 900 Millionen Euro in Aussicht. An den Treffen nahmen auch Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der niederländische Regierungschef Mark Rutte teil.

© dpa-infocom, dpa:230619-99-106794/4