Am Morgen nach dem Sturm der Entrüstung versucht Friedrich Merz, die Wogen wieder zu glätten. »Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben«, schreibt der CDU-Vorsitzende um 9.05 Uhr im Kurznachrichtendienst Twitter. Doch so schnell dürfte er kaum aus dem schweren Wasser herausfinden, in das er sich tags zuvor mit seinen Sätzen zum Umgang mit der AfD im ZDF manövriert hat.
Im ZDF-Sommerinterview im heimischen Sauerland hatte der 67-Jährige erklärt, Kommunalpolitik sei etwas anderes als Landes- und Bundespolitik. Wenn in Thüringen ein Landrat und in Sachsen-Anhalt ein Bürgermeister von der AfD gewählt worden sei, seien das demokratische Wahlen. »Das haben wir doch zu akzeptieren. Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.«
»Gestaltet«, sagt Merz. Er wählt nicht das Wort »Zusammenarbeit«. Doch dieser Unterschied, auf den der CDU-Chef Wert legt, geht unter. Im Interview ergänzt er: Der Ausschluss einer Zusammenarbeit mit der AfD »bezieht sich auf gesetzgebende Körperschaften«. Das betreffe das Europäische Parlament, den Bundestag, Landtage. Viele in der Union fürchten offenbar, bei den Menschen werde nur eines hängen bleiben: Die auch von Merz viel beschworene »Brandmauer« zur AfD bröckele.
AfD-Chef Chrupalla jubelt
Während viele in der Union über die Worte von Merz noch rätseln, jubeln andere. AfD-Chef Tino Chrupalla twittert: »Nun fallen erste Steine aus der schwarz-grünen Brandmauer.« Applaus von der AfD - der kann Merz nicht gefallen.
Selbst international machen seine Äußerungen vom Sonntagabend Schlagzeilen. So heißt es im britischen »Guardian«, Merz habe erklärt, er sei bereit, mit der rechtsextremen AfD auf lokaler Ebene zusammenzuarbeiten. Auch das kann Merz nicht gefallen.
Kopfschütteln und Distanzierung in der Union
In der CDU zürnen manche, Merz habe die kommunikative Grundregel missachtet, dass man die politische Konkurrenz mit ausführlicher Erwähnung nur größer mache - und sich selbst klein. Es habe gar keinen Grund gegeben, diese Flanke ohne Not aufzumachen. Merz hätte das AfD-Thema mit dem kurzen Hinweis abbinden können, es gebe keine Zusammenarbeit - basta. Und sich dann auf die Fehler der Ampel etwa beim Heizungsgesetz konzentrieren können. Doch da: Fehlanzeige.
Schon ein Auftritt von Merz bei der Klausur der CSU-Landesgruppe im Kloster Andechs hatte in den eigenen Reihen für Kopfschütteln gesorgt - auch da ging es um die AfD. Merz nannte die Union die »Alternative für Deutschland mit Substanz«. Im ZDF sagte er jetzt, als Opposition sei man immer Alternative zur Bundesregierung, so sei Demokratie. »Es gibt eine Regierung und es gibt zu dieser Regierung natürlich eine Alternative - für Deutschland. In Deutschland, für Deutschland.«
Unions-Wahlkämpfer in Bayern und Hessen dürften nicht begeistert sein
Auch der Vorsitzende der Schwesterpartei CSU, Markus Söder, lässt nicht lange mit einer glasklaren Distanzierung auf sich warten: »Die CSU lehnt jede Zusammenarbeit mit der AfD ab - egal auf welcher politischen Ebene«, schreibt er auf Twitter. Viele in der Union sehen den Bayern weiterhin als möglichen Kontrahenten von Merz in der Kanzlerkandidatenfrage für 2025, sollte die CSU bei der Landtagswahl im Oktober tatsächlich bei der 40-Prozent-Marke landen.
Weder die Wahlkämpfer in Bayern noch jene in Hessen, wo der CDU-Mann Boris Rhein ebenfalls am 8. Oktober seine Regierung verteidigen will, dürften über die jüngsten Schlagzeilen glücklich sein. Denn sie hinterlassen Unklarheit und Streit. Beides gilt als Gift für die Motivation gerade konservativer Wähler.
Nicht nur die üblichen Verdächtigen gehen auf Distanz
Die Welle der Empörung dürfte Merz zu denken geben. Nach einer Schrecksekunde äußerten sich nämlich nicht nur die üblichen Verdächtigen aus dem Lager um die Ex-CDU-Vorsitzende und frühere Kanzlerin Angela Merkel kritisch. Selbst Unterstützer wie der Regierende Bürgermeister Berlins, Kai Wegener, gingen auf Distanz. Hamburgs CDU-Chef Denis Thering twitterte: »Als CDU Hamburg sind wir klar: Mit der offen rassistischen und zum Teil antisemitischen AfD wird es auf keiner Ebene eine Zusammenarbeit geben.«
CDU-Chef: Twitter-Debatten schaden nur der CDU
Merz selbst bleibt bei seinen Äußerungen. »Ich habe von dem, was ich gestern Abend gesagt habe, nichts zurückzunehmen«, sagt der Sauerländer im Gespräch mit der dpa. Er habe schlicht und einfach die Wirklichkeit beschrieben. »Daraus abzuleiten, ich hätte den Weg geöffnet für die Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene ist wirklich völlig abwegig.« Auf die Frage, ob er überrascht sei, dass sich Parteifreunde etwa auch aus Landesregierungen distanzierend zu Wort gemeldet hätten, mahnte er zu mehr Geschlossenheit: »Die meisten dieser Parteifreunde haben meine Handynummer. Solche Debatten öffentlich über Twitter zu führen, schadet nur der CDU.«
Der CDU-Vorsitzende steht wegen tendenziell eher abwärts deutender Umfragewerte unter der 30-Prozent-Marke seit Monaten intern in der Kritik. Eigentlich müsse die Union doch angesichts des desaströsen Erscheinungsbildes der Ampel eher bei 32, 33 Prozent mit Tendenz nach oben liegen, murren manche hinter vorgehaltener Hand. Sollte sich Merz hier durch den Austausch seines Generalsekretärs vor knapp zwei Wochen etwas Entlastung in den Sommermonaten erhofft haben: Diese Erwartung dürfte nun dahin sein.
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