Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat die Ampel-Regierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) aufgefordert, international mehr Führungsverantwortung zu übernehmen. »Wir machen uns selbst in unserer Diskussion in Deutschland kleiner, als wir von außen, von vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, aber auch außerhalb der EU gesehen werden«, sagte Merz in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. »Das heißt: Deutschland muss bereit sein, mehr Führungsverantwortung zu übernehmen. Nicht Führung allein, sondern Führungsverantwortung für Europa.«
»Dieser Europäischen Union ist es gut gegangen, wenn Deutschland bereit war, diese Führungsverantwortung zu übernehmen«, sagte der CDU-Vorsitzende. »Das liegt an unserer geostrategischen Lage, an unserer Situation als das bevölkerungsreichste und auch das wirtschaftlich stärkste Land der Europäischen Union.« Bei seinen Auslandsreisen merke er immer wieder, »wie sehr viel anders die Erwartungen an uns sind und wie sehr viel anders die Rolle Deutschlands in der Welt gesehen wird als wir dies tun«.
»Werden uns von China nicht völlig abkoppeln können«
Mit Blick auf die geplante neue China-Strategie der Bundesregierung, mit der unter Federführung von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) das Verhältnis zu Peking neu justiert werden soll, sagte Merz, China sei ein autoritäres Land und gleichzeitig wichtiger Handelspartner. »Wir werden uns von China nicht völlig abkoppeln können. Aber wir müssen auch gegenüber China unsere Interessen wahrnehmen.«
Deutschland werde in den nächsten Jahren nicht unabhängig von China werden können. Aber auch China werde umgekehrt nicht unabhängig vom Rest der Welt sein können, sagte der CDU-Politiker. »Insofern dürfte die gegenseitige Abhängigkeit zwischen China und Europa größer sein als die einseitige Abhängigkeit von russischem Gas.« Darin liege »auch eine gewisse Chance, dass wir die Abhängigkeiten schrittweise reduzieren, dass wir unsere Lieferketten diversifizieren«. Dies täten viele Unternehmen, »und das sollte Deutschland insgesamt auch tun«.
»Wäre gut, wenn es eine europäische China-Politik gäbe«
Über die künftige China-Strategie sagte Merz: »Es wäre gut, wenn es nicht nur eine deutsche, sondern eine europäische China-Politik gäbe.« China habe eine Europa-Strategie - aber Europa keine China-Strategie. Im Verhältnis zu Peking müssten Deutschland und Europa auf strikter Gegenseitigkeit bestehen. »Das, was wir chinesischen Unternehmen, dem chinesischen Staat in Europa erlauben, muss umgekehrt auch europäischen Unternehmen in China erlaubt sein. Dann wird auch eine Gleichzeitigkeit der Interessen daraus.« Derzeit dürften europäische Unternehmen in China nicht das tun, was man chinesischen Unternehmen in Europa einräume.
Mit Blick auf die Außenministerin sagte Merz: »Frau Baerbock sagt viel, auch viel Richtiges. Es findet sich nur in der Regierungspolitik häufig nicht wieder.« Wenn sie dem Kanzler während dessen China-Reise öffentlich Ratschläge gebe, was er dort zu sagen habe und was nicht, »ist das schon in Stilfragen ein offensichtlicher Konflikt in der Bundesregierung um die Außenpolitik«.
»Zur nationalen Sicherheit gehört ein Nationaler Sicherheitsrat«
Der Kanzler hatte die Beteiligung des chinesischen Staatsunternehmens Cosco an einem Terminal im Hamburger Hafen vor wenigen Wochen nur gegen den Widerstand mehrerer seiner Minister durchgesetzt. Baerbock hatte ihn daraufhin während einer Auslandsreise an den Koalitionsvertrag erinnert.
Merz wiederholte auch seine Forderung nach der Bildung eines Nationalen Sicherheitsrats. Deutschland brauche eine werteorientierte, aber auch interessengeleitete Außenpolitik. Zu dieser interessengeleiteten Außenpolitik gehöre, »dass wir unsere nationale Sicherheit neu definieren. Und zur nationalen Sicherheit gehört ein Nationaler Sicherheitsrat. Und der gehört ins Kanzleramt.«
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