In der Debatte um das Erstarken der AfD sehen Unionspolitiker ihre Partei in der Mitverantwortung. CDU-Chef Friedrich Merz sagte beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg mit Blick auf die Entstehung der Alternative für Deutschland (AfD), in der Demokratie sei nichts und niemand alternativlos.
»Der Name dieser Partei war eine unmittelbare Reaktion auf dieses Wort, und darum haben wir eine hohe Mitverantwortung dafür, dass es so etwas gab«, sagte Merz. Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte das Wort »alternativlos« geprägt - die Gesellschaft für deutsche Sprache kürte es 2010 zum Unwort des Jahres.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sagte der »Welt am Sonntag« mit Blick auf die relativ hohen AfD-Umfragewerte: »Es gelingt uns als Union nicht ausreichend, mit überzeugenden Angeboten wahrgenommen zu werden und die enttäuschten Stimmen abzuholen.« Er erklärte: »Wir haben es bisher nicht geschafft, den Menschen unsere Alternativen, zum Beispiel beim Thema Heizen, präziser aufzuzeigen. Wir müssen klarer darlegen, wohin wir wollen.«
Scholz will AfD die Chancen nehmen
In Thüringen und Sachsen stand die AfD in jüngsten Umfragen auf Platz eins, in Brandenburg lag sie zuletzt auf ähnlichem Niveau wie CDU und SPD. In diesen drei Ländern sind 2024 Landtagswahlen. Auch im Bund erlebt die AfD derzeit bei Umfragewerten einen Höhenflug - sie steht dort bei 17 bis 20 Prozent - die Union liegt bei 27 bis 30 Prozent.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will die AfD mit einer positiven Gestaltung der Zukunft in die Schranken weisen. Wenn man eine Zukunftsvorstellung gewährleisten könne, an die man - auch im Hinblick auf den Klimawandel - glauben könne, »dann sind die Chancen für solche Parteien klein«, sagte er auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. »Die AfD ist eine Partei, die die falsche Behauptung aufbringt, früher war alles besser.«
In zahlreichen Ländern gebe es ein Erstarken extremer Parteien und Strömungen. Es gelinge nur, dagegen vorzugehen, »wenn wir Zukunft, Respekt und Zusammenhalt zu unserem Thema machen«. Scholz sagte: »Wir leben in einer Zeit großer Umbrüche. Die Frage: «Geht das gut aus?» bewegt die Leute.« Die Dinge, die die Politik nun unternehme, müssten als Verbesserung der Lebensverhältnisse verstanden werden. Dann könne man sagen: »Es gibt für Dich und Euch eine gute Zukunft.«
Ostbeauftragter glaubt nicht an AfD-Wahlsiege
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), sieht die Stärke der AfD »als größte Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands und den gesellschaftlichen Zusammenhalt«. Allerdings glaubt Schneider nicht, dass die AfD bei den anstehenden Landtagswahlen im Osten zur stärksten Partei wird, wie er im »Interview der Woche« des Deutschlandfunks sagte. Denn »niemand traut der AfD zu, Probleme zu lösen.« Die AfD sei jedoch bereits 2018 so stark gewesen wie jetzt, dies sei kein neues Phänomen.
CDU-Chef Merz schloss am Samstag eine Zusammenarbeit mit der in Teilen vom Verfassungsschutz beobachteten AfD noch einmal kategorisch aus. »Eine Zusammenarbeit mit solchen Leuten ist für mich komplett unvorstellbar.« Hingegen will der Präsident des Thüringer Gemeinde- und Städtebunds, Michael Brychcy (CDU), Gespräche mit der AfD nicht ausschließen. »Nicht alle in dieser Partei sind Faschisten«, sagte er am Freitag dem MDR Thüringen. Mit denen, die extremistisch sind, könne man aber nicht reden, sagte er zur Deutschen Presse-Agentur.
In der Thüringer CDU hatte es immer wieder Stimmen gegeben, die sich für eine zumindest partielle Zusammenarbeit mit der AfD ausgesprochen hatten - auch nach der Landtagswahl 2019, deren Ergebnisse eine äußerst schwierige Regierungsbildung in Erfurt zur Folge hatte. Ein CDU-Bundesparteitagsbeschluss verbietet jegliche Zusammenarbeit der Union mit AfD und Linken. Auch der CDU-Fraktionschef im Thüringer Landtag, Mario Voigt, spricht sich seit Jahren strikt gegen jede Zusammenarbeit mit der AfD aus. In Thüringen unterstützt die CDU-Fraktion im Landtag keine Anträge der AfD. Umgekehrt fanden aber schon CDU-Anträge mit Hilfe von AfD-Stimmen eine Mehrheit.
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