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Merz bedauert »Sozialtourismus«-Vorwurf gegen Ukrainer

CDU-Chef Merz löst zwei Wochen vor der Landtagswahl in Niedersachsen mit dem »Unwort« vom Sozialtourismus bei Ukraine-Flüchtlingen Empörung aus. Ob seine Entschuldigung mögliche Wechselwähler von SPD und Grünen überzeugt?

Friedrich Merz
Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz bei einer Pressekonferenz im Reichstagsgebäude. Foto: Kay Nietfeld
Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz bei einer Pressekonferenz im Reichstagsgebäude.
Foto: Kay Nietfeld

CDU-Chef Friedrich Merz hat sich für seinen Vorwurf eines »Sozialtourismus« von Ukraine-Flüchtlingen entschuldigt, zugleich aber auf zunehmende Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen hingewiesen.

»Ich habe dieses Wort Sozialtourismus verwendet, nicht in der Absicht, irgendjemandem da zu nahe zu treten oder auch persönlich etwas vorzuwerfen«, sagte der Unionsfraktionsvorsitzende am Dienstag vor der turnusgemäßen Sitzung der Abgeordneten von CDU und CSU im Bundestag in Berlin. »Wenn ich da jemanden verletzt habe, dann bedauere ich das sehr«, ergänzte er.

Eine Jury von Sprachwissenschaftlern hatte das Wort "Sozialtourismus" im Jahr 2013 zum "Unwort des Jahres" bestimmt. Zur Begründung hieß es damals, es "diskriminiert Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles
Recht hierzu".

Merz sagte, er habe lediglich darauf hinweisen wollen, »dass wir zunehmende Probleme haben mit der Unterbringung und auch mit der Betreuung von Flüchtlingen und dazu Probleme bekommen mit einer größer werdenden Zahl von Asylbewerbern«. Dabei bleibe er. Das Problem werde vor allem dadurch größer, »dass wir zunehmende Asylbewerberzahlen haben«. Die Zahl von 200.000 werde in diesem Jahr möglicherweise überschritten. »Darüber müssen wir reden. Das ist ein Thema, das auch die Bevölkerung in Deutschland zunehmend beunruhigt.«

Merz: Zunehmende Probleme bei Unterbringung von Flüchtlingen

Der CDU-Vorsitzende wies zurück, dass es sich bei seinen Äußerungen zwei Wochen vor der Landtagswahl in Niedersachsen um ein Wahlkampfmanöver handele. Auf die Frage, ob ihm das Wort Sozialtourismus herausgerutscht sei, sagte er: »Also das ist nicht rausgerutscht. Das ist eine Formulierung, die mir im freien Interview so in der Tat über die Lippen gekommen ist.« Er habe die Reaktionen gesehen und bedauere dies. Merz sprach von einem Missverständnis. »Ich habe es so nicht gemeint. Und damit ist dazu auch alles gesagt.«

Schon am Vormittag hatte der 66-Jährige getwittert: »Wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird, dann bitte ich dafür in aller Form um Entschuldigung.« Sein Hinweis habe »ausschließlich der mangelnden Registrierung der Flüchtlinge« gegolten.

Merz hatte Bild TV am Montagabend gesagt: »Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.« Der Hintergrund laut Merz: Anfangs hatten Ukraine-Flüchtlinge Anspruch auf Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - seit Juni erhalten sie Grundsicherung, also die gleichen Leistungen wie etwa Hartz-IV-Empfänger, und sind damit etwas besser gestellt.

SPD: Merz wendet AfD-Taktik an

Die SPD warf Merz vor, AfD-Taktik anzuwenden. »Er will bewusst einen politischen Kulturkampf vom Zaun brechen und mit immer neuen Grenzverschiebungen den Diskurs nach rechts verschieben«, kritisierte die parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast. »Das kennen wir bislang nur von der AfD«, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Dass Merz sich danach aus ihrer Sicht »halbherzig« von seinen Äußerungen distanziert habe, sei »nicht mehr als die übliche Masche«.

Grüne: Wie passen Merz-Äußerungen zur Ukraine-Solidarität?

Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang twitterte: »Wie passt es eigentlich mit der viel beschworenen Solidarität der Union mit der Ukraine zusammen, dass Friedrich Merz im Kontext von Menschen, die vor diesem furchtbaren Angriffskrieg fliehen, von «Sozialtourismus» spricht?«

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann nannte Merz' Äußerung in Berlin »anstandslos und schäbig«. Seine nachgelieferte Erklärung sei »windelweich« und mache die Sache nicht besser.

FDP: Merz gefährdet gesellschaftliche Unterstützung für Ukraine

FDP-Fraktionschef Christian Dürr nannte Merz' Vorwurf »absolut deplatziert«. Der dpa sagte er: »Merz gefährdet mit solchen Narrativen die gesellschaftliche Unterstützung für die Ukraine.«

Die Migrationsexpertin der Linksfraktion, Clara Bünger, sagte der dpa: »Für seine Wortwahl hat sich Friedrich Merz inzwischen halbherzig entschuldigt«, für seine Strategie »mit hetzerischen Parolen am rechten Rand Stimmen fischen zu wollen, steht diese Entschuldigung noch aus«.

Dobrindt: Mit Entschuldigung erledigt - Nicht auf Goldwaage

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte über Merz: »Er hat es korrigiert, und damit ist es auch erledigt.« Er ergänzte: »Es kann auch mal ein Satz daneben liegen. Das muss man nicht auf die Goldwaage legen.« Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei (CDU) räumte ein, man könne den Begriff falsch verstehen.

Die Migrationsforscherin Birgit Glorius stufte den Vorwurf eines »Sozialtourismus« gegen Ukrainer als »absurd« ein. Fluchtbewegungen seien nie eindimensional, sagte die Chemnitzer Professorin, die dem wissenschaftlichen Beirat des Bundesamts für Migration vorsteht, der dpa. Flüchtlinge hätten noch viele Verpflichtungen in ihrem Herkunftsland, etwa mit Blick auf Verwandte. »Natürlich fährt man hin und her, wenn das möglich ist.«

Was bedeuten die Äußerungen für die Landtagswahl in Niedersachsen?

Zwei Wochen vor der wichtigen Landtagswahl in Niedersachsen, bei der die CDU auch um Stimmen von SPD-, Grünen- und FDP-Anhängern kämpft, dürfte Merz' »Sozialtourismus«-Klage in der CDU auch Stirnrunzeln hervorrufen. In der Union hieß es, es sei zu erwarten, dass SPD und Grüne die Äußerungen im Wahlkampf weiterhin verwenden würden. Zugleich gab es Stimmen, die davon ausgingen, dass sich die Wogen nach der Entschuldigung von Merz rasch glätten könnten.

Mit Blick auf Merz war in der Union zu hören, dieser müsse neben der Auseinandersetzung mit Kanzler Scholz nun auch jene mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) annehmen. Habeck sei die größte Schwachstelle in der Ampel-Regierung.

© dpa-infocom, dpa:220927-99-909220/13