Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will das Kapital für die sogenannte Aktienrente, mit der der Beitragssatz für die gesetzliche Rentenversicherung in Schach gehalten werden soll, deutlich aufstocken. »Wir brauchen mittel- bis langfristig eine dreistellige Milliardensumme, damit die Erträge der Aktienanlage einen spürbaren Effekt auf die Stabilisierung der Rentenbeiträge und des Rentenniveaus haben können«, sagte Lindner dem »Tagesspiegel« (Dienstag). Für 2023 wurde als Startschuss lediglich eine Summe von zehn Milliarden Euro in den Haushalt eingestellt. Der grüne Koalitionspartner reagierte mit einem Gegenvorschlag auf Lindners Vorstoß.
Mit der Aktienrente will die Ampelkoalition einen Beitrag leisten, starke Beitragserhöhungen für die gesetzliche Rentenversicherung zu verhindern. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will zeitnah ein Rentenpaket vorlegen, damit die Rentenfinanzen und das Absicherungsniveau dauerhaft stabil gehalten werden können. Denn mit dem anstehenden Renteneintritt geburtenstarker Babyboomer-Jahrgänge dürfte es mehr Beziehende von Renten geben und weniger Einzahlende.
Das Verbraucherportal »Finanztip« hatte ausrechnen lassen, dass die Aktienanlage des Bundes ein Volumen von mehr als 210 Milliarden Euro haben müsste, um eine Beitragssteigerung von einem Prozent zu verhindern. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich am Aktienmarkt jährliche Renditen von acht Prozent erwirtschaften lassen - was zwar historisch betrachtet zutreffend, aber keineswegs garantiert sei.
Es gibt Ideen, aber noch keinen Konsens
Zur Finanzierung der dreistelligen Milliardensumme sagte der Finanzminister der Zeitung, er habe dazu Ideen, es gebe aber »noch keine abgeschlossene Willensbildung der Bundesregierung«. Lindner verwies dabei auf die Finanzierung der ersten zehn Milliarden Euro, die vollständig über neue Schulden erfolgt und als Darlehen des Bundes an die neue Aktienrücklage fließt. »Wir machen uns zunutze, dass der Staat für seine Anleihen weniger zahlen muss als die Kapitalmärkte an Rendite bringen.«
Der Grünen-Rentenexperte Markus Kurth hielt dem entgegen: "Enormen Summen, sehr langen Anlagezeiträumen und immer noch vorhandenen Kapitalmarktrisiken steht ein vergleichsweise spärlicher Effekt
gegenüber." Kurth rechnete vor, dass mit einer realistischen Renditeannahme von 4 Prozent über 500 Milliarden Euro nötig seien, um ein Prozent Beitragssatzanstieg zu vermeiden.
»Dabei gibt es gute Alternativen zur Aktienrente innerhalb des Umlagesystems«, sagte Kurth. »Zentral ist eine Ausweitung sowie die Ausschöpfung des Erwerbspersonenpotentials.« Nötig seien alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen. »Gerade aus wirtschaftspolitischer Sicht ist es unbedingt notwendig, Erwerbstätigen möglichst lange die Teilnahme am Arbeitsleben zu ermöglichen.«
Der Linken-Rentenexperte Matthias W. Birkwald sagte: »Eine Aktienrente auf Pump ist überflüssig wie ein Kropf.« Bei einem Bedarf von weit mehr als hundert Milliarden Euro müssten zunächst die Schuldzinsen erwirtschaftet werden und dann eine Rendite. »Die ist bei den heutigen Kapitalmarktrisiken alles andere als sicher.« SPD und Grüne sollten »dieses absurde Theater« sofort beenden.
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