Minsk (dpa) – Der Personenkult um Machthaber Alexander Lukaschenko kennt im Staatsfernsehen in Belarus kaum noch Grenzen. Täglich ist der »Präsident«, wie er da noch hochachtungsvoll genannt wird, präsent in den Nachrichten und in den Dokumentationen aus Anlass seines Sommers der Jubiläen.
Der als letzter Diktator Europas bezeichnete Autokrat wurde vor 30 Jahren – am 10. Juli - erstmals ins Präsidentenamt gewählt. In einem Land, das mit der neugewonnenen Unabhängigkeit haderte, versprach der ehemalige Direktor eines staatlichen Landwirtschaftsbetriebes (Sowchose), am sowjetischen Lebensstil festzuhalten. Seine erste Amtseinführung jährt sich am 20. Juli. Und nächsten Monat, am 30. August, wird er 70 Jahre alt.
»Lukaschenko sitzt dank des Rückhalts von Kremlchef Wladimir Putin fest im Sattel. Und er bereitet sich augenscheinlich auf die nächste Präsidentenwahl in einem Jahr vor«, sagt der belarussische Politologe Waleri Karbalewitsch der Deutschen Presse-Agentur. »Ich sehe keine Bedrohung seiner Macht. Das Ende der Diktatur ist nicht in Sicht.«
Karbalewitsch, der aus Angst vor politischer Verfolgung im Ausland lebt, spricht von einem »eisernen und totalitärem Regime«, das nur auf eine Person ausgerichtet sei.
Längst vergessen ist, dass Lukaschenko 2020 erklärte, diese jetzt laufende sechste Amtszeit werde seine letzte sein. Damals, nach einem Vierteljahrhundert an der Macht, ließ er Proteste Hunderttausender wütender Belarussen gegen die von beispiellosen Manipulationsvorwürfen überschattete Präsidentenwahl gewaltsam niederschlagen.
Trotz Amnestie weiter viele politische Gefangene
Bis heute zählen Menschenrechtler mehr als 1000 politische Gefangene in dem Land. Zwar versprach Lukaschenko Anfang dieses Monats, dass er in einer humanitären Geste im Zuge einer großen Amnestie auch einige seiner Kritiker freilassen wolle. Tatsächlich ist es ein gutes Dutzend bisher. »Aber es gibt noch immer viele Festnahmen Andersdenkender«, wie auch das in Belarus verbotene Menschenrechtszentrum Wjasna festgestellt.
Der Experte Karbalewitsch hält Belarus für deutlich unfreier als Russland. »Menschen werden festgenommen, weil sie etwa auf ihrem Handy Nachrichten unabhängiger Medien abonnieren«, sagt er. Der schon zu Sowjetzeiten wegen seiner Brutalität gefürchtete Geheimdienst KGB hält das Land, das als letztes in Europa noch die Todesstrafe vollstreckt, an der Kandare.
Vor allem die im Exil arbeitende Opposition um Swetlana Tichanowskaja prangert politische Verfolgung, Folter und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Belarus an. Tichanowskaja galt damals als eigentliche Siegerin der Präsidentenwahl. Ihr Mann Sergej sitzt weiter in Haft.
Die von Minsk als Extremistin zur Fahndung ausgeschriebene Politikerin baut im Ausland mit einer Art Exilregierung aus profilierten Experten strategische Kontakte auf für den Fall eines Machtwechsels in Belarus. Und sie setzt sich bei Treffen mit westlichen Staatenlenkern vor allem für Sanktionen ein, dafür, dass die Strafmaßnahmen bleiben und verschärft werden.
Unterstützung für Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine
Lukaschenko lächelt die Konfrontation mit dem Westen weg – und ist längst weitgehend wirtschaftlich und politisch abhängig vom großen Nachbarn Russland. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine gehört Lukaschenko zu den wichtigsten Verbündeten von Kremlchef Putin. Belarus überließ den russischen Streitkräften nicht nur sein Staatsgebiet für Angriffe auf die Ukraine. Das lange Zeit industriell schwache Land gilt inzwischen als wichtiger Rüstungsproduzent für Putins Invasion.
Zwar sehen Experten wie Karbalewitsch weiter keinen Hinweis, dass Belarus auch eigene Truppen in dem Krieg einsetzt. Das Militär sei schlecht aufgestellt, die Ablehnung des Krieges in der Bevölkerung groß, sagt er. Nützlich für den Krieg gegen die Ukraine sei Lukaschenko aus russischer Sicht dennoch. Der Machthaber von Minsk übernimmt auch eins zu eins Russlands Lesart, wonach der Krieg vor allem eine Konfrontation mit den USA und dem Westen ist.
Und wie Putin stößt auch Lukaschenko bisweilen atomare Drohungen aus. Russland, das mit Belarus einen bisher kaum aktiven Unionsstaat schuf, stationierte auch unweit der polnischen Grenze mit atomaren Sprengköpfen bestückbare Iskander-Raketen. Lukaschenko brüstet sich seither, dass Belarus nach der Abgabe seiner Nuklearwaffen nach dem Zerfall der Sowjetunion heute wieder Atommacht sei. Die Kontrolle über die Waffen hat aber Putin.
Personelle Erneuerung in Minsk
»Lukaschenkos Abhängigkeit von Putin ist gewachsen. Aber ich würde nicht sagen, dass er eine Marionette Putins ist«, sagt Karbalewitsch. Er zeige durch Reisen etwa nach Afrika oder China, dass er außenpolitisch aktiv ist.
Neuer Außenminister ist Maxim Ryschenkow. Ryschenkow, der zuletzt quasi die Präsidialverwaltung leitete, löste Sergej Alejnik ab, der als unorganisiert und schwach galt.
Für Aufsehen sorgte Lukaschenko zuletzt innenpolitisch, als er nach massiver Kritik an der Ineffizienz des Staatsapparats mehrere Hardliner mit Wurzeln im Sicherheitsapparat durch vergleichsweise gemäßigte Beamte ersetzte. So holte er für die wichtigste Schaltstelle seines Machtapparats aus Moskau Botschafter Dmitri Krutoj zurück, um ihn zum neuen Chef der Präsidialverwaltung zu machen. Der erst 43 Jahre alte Ökonom war einst der jüngste Wirtschaftsminister des Landes und hatte auch in Moskau als belarussischer Statthalter die Vollmachten eines Vizeregierungschefs. Er gilt als durchsetzungsstarker Manager.
Vorbereitung auf siebte Amtszeit – und gesundheitliche Probleme
Experten sehen diese personellen Erneuerungen auf mehreren Ministerposten, aber auch die Amnestie als widersprüchliche Signale Lukaschenkos. »Im Westen wurde die Freilassung der ersten politischen Gefangenen begrüßt, trotzdem gibt es weiter eine antiwestliche Rhetorik. Eine Liberalisierung ist nicht zu erwarten«, sagt Karbalewitsch. Gleichwohl zeige auch die personelle Erneuerung im Machtapparat innenpolitisch, dass das System nicht erstarrt sei.
Der ebenfalls ins Ausland geflüchtete Analyst Artjom Schraibman sieht darin eine Vorbereitung auf die siebte Amtszeit. »Lukaschenko will sein Regime auffrischen, ihm Schwung und Dynamik verleihen durch neue Gesichter, ohne ihnen aber das Ruder zu überlassen«, schreibt er in einem Beitrag für die Denkfabrik Carnegie.
Karbalewitsch erwartet, dass Lukaschenko an der Macht bleibt, solange es seine Gesundheit erlaubt. »Es ist klar, dass er Probleme mit den Beinen hat, beim Gehen«, sagte er. In der Vergangenheit gab es immer wieder Spekulationen, ob der 69-Jährige schwer krank sein könnte. Einmal war er tagelang nicht im Fernsehen zu sehen, was bei der Opposition im Exil Hoffnungen auf ein Ende der Diktatur auslöste. Doch aktuell ist Lukaschenko aktiv und zeigt auch täglich im Fernsehen, dass er die Zügel der Macht weiter fest in der Hand hält.
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