Angesichts der befürchteten Corona-Herbstwelle drängt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die zuständigen Experten, ihre Empfehlungen zur vierten Impfung anzupassen. Er fordert »klare Empfehlungen für alle Altersgruppen«, ob und in welchen Fällen diese zweite Auffrischungsimpfung ratsam ist. Bisher empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) sie nur Menschen über 70 sowie einigen Risikogruppen.
»Natürlich wollen auch die Jüngeren wissen, was sie denn nun machen sollen«, sagte der SPD-Politiker Lauterbach, der derzeit selbst Corona hat, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. »Wir müssen auch eine Antwort für den 40-Jährigen haben. Sollte er sich auf keinen Fall impfen lassen? Oder nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei sehr vielen Kontakten am Arbeitsplatz? Oder nur, wenn der Hausarzt das empfiehlt? Man braucht für jedes Alter eine Botschaft.« Spätestens, wenn die neuen, an die Omikron-Variante angepassten Impfstoffe da seien, »sollte es klare Ansagen auch für die unter 60-Jährigen geben«. Erwartet werden vier angepasste Impfstoffe und zwar frühestens am 9. September, wie Lauterbach jüngst gesagt hatte.
Anpassung der Impfstoffe abwarten?
Führende EU-Behörden hatten eine weitergehende Empfehlung als die Stiko gegeben und sich für eine zweite Corona-Auffrischungsimpfung für alle über 60 ausgesprochen. Lauterbach wirbt dafür seit längerem sogar bei Menschen unter 60 - nach Rücksprache mit dem Arzt. Seine Forderung nach einer nach Alter gestaffelten Impfempfehlung ist offenbar eine Art Erwartung an die Stiko. Einen förmlichen Auftrag dafür gebe es nicht, erläuterte ein Ministeriumssprecher am Sonntag.
Auch Bayern wünscht sich eine solche differenzierte Empfehlung. »Ich sehe keinen Grund, warum sich die Experten der Ständigen Impfkommission nicht mit dieser Frage auseinandersetzen sollten«, sagte Minister Klaus Holetschek (CSU) der Deutschen Presse-Agentur.
Der Immunologe Carsten Watzl sieht - außer für Risikogruppen - Gründe, mit einer vierten Impfung die Anpassung der Präparate abzuwarten. »Da die angepassten Impfstoffe hoffentlich nächsten Monat kommen, kann man jetzt auch warten«, sagte der Generalsekretär der Gesellschaft für Immunologie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstag). Die angepasste Impfung verstärke noch einmal die Immunität gegen Omikron und biete wahrscheinlich auch gewissen Schutz vor Ansteckung. Wenn man sich jetzt zum vierten Mal mit bisherigem Impfstoff impfen lasse, müsse man mindestens drei Monate warten bis zur nächsten Impfung - das wäre dann womöglich erst mitten in einer Herbstwelle.
Lauterbach: Nicht auf neue Impfstoffe warten
Lauterbach mahnte Ältere auf Twitter jedoch, nicht auf neue Impfstoffe zu warten. »Mit 4. Impfung plus Paxlovid im Erkrankungsfall lassen sich bei Älteren fast alle Todesfälle vermeiden«, erläuterte er.
Der befürchteten Herbstwelle will der Bund auch mit neuen Corona-Regeln im Infektionsschutzgesetz entgegenwirken, die Lauterbach und Justizminister Marco Buschmann (FDP) vergangene Woche vorgestellt hatten. Dabei soll dann unter anderem die bundesweite Maskenpflicht in Fernbahnen und Fliegern erweitert werden auf Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen.
Die außerdem vorgesehene Möglichkeit für die Bundesländer, auch in Innenräumen eine Maskenpflicht zu verhängen, können diese aber nicht willkürlich einsetzen, wie die SPD deutlich machte. »Eine erweiterte Maskenpflicht im Winter gibt es nicht automatisch«, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese der »Bild am Sonntag« (»BamS«). Die Länder müssen nach seinen Worten die Notwendigkeit belegen können.
Einen klaren Kriterienkatalog dafür gibt es allerdings nicht. In der der dpa vorliegenden Passage des Gesetzentwurfs (Paragraf 28b) wird als Voraussetzung nur genannt, dass »dies zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) und zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen kritischen Infrastrukturen erforderlich ist«. Die konkreten Kriterien wurden einem Ministeriumssprecher zufolge »ganz bewusst den Ländern überlassen«.
Ausnahmen für Getestete und frisch genesene Menschen
Kritik gibt es am Plan, dann von einer Maskenpflicht in Restaurants oder bei Kultur- und Sportveranstaltungen jene zu befreien, deren Impfung nicht älter als drei Monate ist. Daneben soll es Ausnahmen für Getestete und frisch genesene Menschen geben. Diese Ausnahmen sollen Betreibern mehr Spielraum eröffnen, wie Buschmann in der »BamS« erläuterte. »Ein Betreiber kann zum Beispiel ein Public Viewing in Innenräumen zur WM organisieren und nur Besucher mit Tests reinlassen, sodass auf der Veranstaltung Normalität ohne Maske mit einem sehr niedrigen Risiko besteht. Denn das Hausrecht jedes Betreibers ermöglicht ihm, auch nur von einem Teil der Ausnahmen oder von gar keiner Ausnahme Gebrauch zu machen.«
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