Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist nach einem abrupten Rückzieher bei den Corona-Isolationsregeln mit seinem Krisenmanagement in Bedrängnis.
Der SPD-Politiker verkündete überraschend in einer nächtlichen Talkshow, eine geplante Umstellung der Isolation von Infizierten auf Freiwilligkeit direkt wieder einzukassieren. Am Mittwoch nahm er den »Fehler« ausdrücklich auf die eigene Kappe. Von Ländern und Opposition kam heftige Kritik am generellen Vorgehen des Ministers. Die Gesundheitsämter sollen eine Isolation nun doch weiter anordnen, nur Quarantäne für Kontaktpersonen Infizierter nicht mehr.
Lauterbach räumte ein, der Plan zur Beendigung der Isolationspflicht zum 1. Mai sei »ein klarer Fehler« gewesen. Er sei dafür »auch persönlich verantwortlich«. Die Reaktionen darauf hätten ihn davon überzeugt, dass dies »psychologisch das falsche Signal« senden und als Schritt der Lockerung verstanden würde. »Das wäre völlig falsch und würde die Pandemie verharmlosen«, sagte er. »Ich habe den Vorschlag daher zurückgezogen.« Noch am Dienstagnachmittag hatte Lauterbach die Umstellung verteidigt. Sie solle allein dazu dienen, Gesundheitsämter von der Nachverfolgung der gerade hohen Fallzahlen zu entlasten. Doch die Kritik daran wollte nicht mehr verhallen.
Nächtlicher Rückzieher
Rund zehn Stunden später, spätabends in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz, ruderte Lauterbach dann überraschend zurück. Das Signal einer freiwilligen Isolation sei »so negativ, so verheerend«, dass es eine Veränderung geben müsse. Um 2.37 Uhr legte der Minister dann auch per Twitter nach: »Hier habe ich einen Fehler gemacht. Das entlastet zwar die Gesundheitsämter. Aber das Signal ist falsch und schädlich.« Er habe es nicht laufen lassen, sondern so schnell wie möglich beenden wollen, erläuterte der Minister seine nächtliche Aktivität später. Wenn man sehe, dass Vorschläge nicht funktionierten, müsse man sie zurücknehmen und nicht stur dabei bleiben.
Heftige Kritik
Gerade als Kommunikator ist Lauterbach in Erklärungsnot geraten. Die Union attackierte ihn als »Talkshow-Minister«. Er setze »durch sein konfuses Agieren die Gesundheit der Menschen aufs Spiel«, monierte Fraktionsvize Sepp Müller (CDU) und fragte: »Ist der Ministerposten eine Gewichtsklasse über ihm?« Aus den Ländern hagelte es Kritik. Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte (SPD) sprach von irritierender Wankelmütigkeit. »So etwas darf nicht passieren.« Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte, zu einem verantwortungsbewussten Umgang gehöre, nicht mit Zick-Zack-Kurs zu verunsichern. »Einen grundlegenden Kurswechsel in einer Talkshow und nachts auf Twitter zu verkünden, das ist schlechte Kommunikation.«
Die Korrektur
Fast schon vergessen ist, dass die Umstellung auf einen Beschluss von Lauterbach mit den Ressortchefs der Länder zurückgeht. Der Vorschlag kam vom Ministerium und dem Robert Koch-Institut (RKI) am Mittwoch vergangener Woche, die Länder konnten bis Montag Stellung nehmen. Nun soll ein neuer Vorschlag an sie gehen, wie Lauterbach sagte. Anders als bisher werde Quarantäne bei Kontaktpersonen nicht mehr angeordnet - sie sollen Kontakte künftig freiwillig vermeiden. Das solle die Gesundheitsämter entlasten. Bei Infizierten aber sollen fünf Tage Isolation vorgesehen werden - wie bisher samt Anordnung vom Amt.
Heikle Tage
Kanzler Olaf Scholz (SPD) habe er natürlich informiert, es sei aber seine eigene Entscheidung gewesen, machte Lauterbach deutlich. Eine Frage, ob er an Rücktritt gedacht habe, verneinte er. Für den Wissenschaftler und Mediziner auf dem Ministerposten sind es aber ohnehin heikle Tage. Auf Betreiben des kleinen Partners FDP fielen gerade inmitten hoher Infektionszahlen die meisten staatlichen Schutzvorgaben weg. Lauterbach musste schlucken, dass Justizminister Marco Buschmann (FDP) allgemeine Maskenpflichten für passé erklärte. Er verteidigt unverdrossen eine mögliche Hotspot-Regel für Regionen in kritischer Lage. Nur steht die meist auf dem Papier, gerade mal zwei Bundesländer nutzen sie. Der Minister appellierte vergeblich.
Lauterbachs Oster-Moment
Genau vier Monate ist es her, dass Scholz am Nikolaustag verkündete: »Er wird es.« Lauterbach, der Pandemie-Mahner und Talkshow-Stammgast, Polarisierer für die einen, verlässlicher Corona-Erklärer für die anderen, übernahm sein erstes Regierungsamt. Scholz war nicht gerade als Lauterbach-Fan bekannt, präsentierte ihn aber ausdrücklich als Mann »vom Fach« nach dem viel kritisierten Vorgänger Jens Spahn (CDU). Lauterbach hat jetzt einen Oster-Moment im Krisenmanagement erlebt, wie ihn so ähnlich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor einem Jahr hatte. Damals nahm sie eine vorher mit den Ministerpräsidenten beschlossene »Osterruhe« zurück, einen verschärften Lockdown über die Feiertage. Merkel entschuldigte sich damals auch bei den Bürgern.
Ampel im Corona-Stress
Der Corona-Kurs der Ampel ist nicht erst mit Lauterbachs Kehrtwende bei der Isolation in der Kritik. Im Bundestag kommt es an diesem Donnerstag zur Stunde der Wahrheit für ein anderes Vorhaben, bei dem Scholz selbst im politischen Risiko steht. Es geht um eine allgemeine Impfpflicht als Vorsorge für den Herbst, die die Koalition aber wegen offener Meinungsverschiedenheiten nicht als Regierungsprojekt angeht. Deshalb müssen fraktionsübergreifende Mehrheiten her. Eine »große Lösung« mit einer Pflicht für alle ab 18 Jahren, die Lauterbach und Scholz wollten, ist längst unrealistisch. Die Initiative wurde mehr und mehr aufgeweicht und sieht nun eine Pflicht zunächst ab 60 vor.
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